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Klopstocks kleine Prosa

16. Juli 2019
von Redaktion — abgelegt in: Aktuelles,Hamburg — 1.882 Aufrufe

Von Mark Emanuel Amtstätter.

Klopstock – Kleine Prosaschriften Von der Hamburger Klopstock-Ausgabe ist nun der 43. Band erschienen, der Textband zu Klopstocks kleinen Prosaschriften. Eine Passage aus dem Klappentext der beiden Herausgeber Horst Gronemeyer und Klaus Hurlebusch bringt auf den Punkt, was die Leserin oder den Leser des Bandes erwartet:

„Kaum ein anderer Dichter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besaß ein so hochentwickeltes Sprachbewußtsein wie Klopstock. Die kleinen Prosaschriften, insbesondere die umfangreichsten über den deutschen Hexameter und die Rechtschreibungsreform, geben davon Zeugnis. Der Titel von Klopstocks Aufsatzsammlung ‚Über Sprąche und Dichtkunst‘, in diesem Band erstmals buch- und orthographiegetreu wiedergegeben, bezeichnet die Leitideen der theoretischen kleinen Prosa. Das Spektrum der Themen ist jedoch weiter gespannt. Es reicht von Theologie, Moral, Kunstgeschichte und Bildkritik, Poetik, insbesondere Metrik und Verstheorie, bis zu Grammatik und Subskriptionsaufforderungen. Diese sind hier erstmals in einer Klopstock-Ausgabe gesammelt ediert.“

Um das an einem kleinen Beispiel zu skizzieren, sei kurz auf die erwähnte Schrift über den deutschen Hexameter verwiesen, die 1779 als „ęrstes Fragment“ in dem Band „Über Sprąche und Dichtkunst“ erschien. In dieser wichtigsten dichtungstheoretischen Schrift Klopstocks entwirft der Dichter seine sehr aus der Praxis des Dichtens gedachte Theorie von der „Wortbewegung“ und vor allem vom „Wortfuß“, einer den klassischen Versfüßen gegenübergestellten, kolonartigen rhythmisch-semantischen Einheit. Den Unterschied zwischen Vers- und Wortfuß zeigt Klopstock an folgendem Hexameter: „Schrecklich erscholl der geflügelte Donnergesang in der Heerschar.“

Den Versfüßen – ᴗ ᴗ (Schrecklich er-) – ᴗ ᴗ (-scholl der ge-) – ᴗ ᴗ (-flügelte) – ᴗ ᴗ (Donnerge-) – ᴗ ᴗ (-sang in der) – – (Heerschar) stehen hier folgende Wortfüße gegenüber: – ᴗ ᴗ – (Schrecklich erscholl) ᴗ ᴗ – ᴗ ᴗ (der geflügelte) – ᴗ ᴗ – (Donnergesang) ᴗ ᴗ– – (in der Heerschar).

In einem Katalog aus 44 Wortfüßen werden diesen nun von Klopstock jeweils bestimmte Empfindungen oder – wie es im Text heißt – semantische „Beschaffenheiten“ zugewiesen. Diese Beschaffenheiten sollen wiederum bei der Verwendung des jeweiligen Wortfußes direkt über den Rhythmus und nicht über den Umweg des Verstandes wahrgenommen werden. Kombiniert ist dies noch zusätzlich mit Klopstocks Studien älterer Sprachstufen und Sprachdenkmäler des Deutschen, insbesondere seiner Rezeption des altsächsischen Heliand, einer altniederdeutschen Evangelienharmonie in Stabreimen aus dem 9. Jahrhundert. Textbeispiele aus dem Heliand zerlegt Klopstock – völlig ungeachtet des Stabreims – in Wortfüße und erschafft damit letztlich für das eigene Dichten eine Tradition, die bis zum legendären Heldenliederbuch Karls des Großen zurückreichen soll. In der Praxis können die Wortfüße zum Beispiel die körperlich-seelischen Bewegungen widerspiegeln, wenn sie in Klopstocks Eislaufgedichten die Bewegungen des Dichters auf dem Eis in ihren Rhythmen mitvollziehen. Schließlich legt Klopstock mit der Entwicklung der Wortfußrhythmik den Grundstein für eine rhythmische Revolution in der deutschen Dichtung. Vergleichbar ist dies mit einem musikgeschichtlichen Prozess, denn die Musik ist bis einschließlich der Wiener Klassik geprägt von einer spannungsvollen „Zusammengehörigkeit von Zeitgliederung und Erklingendem“ (Rudolf Bockholdt, Über die Vorteile der Wahrnehmung einer materielosen Zeitgliederung in der Musik. In: Archiv für Musikwissenschaft 59 (2002), S. 12), von abstraktem Metrum und stofflichem Rhythmus. Dieses Spannungsverhältnis schwindet mit der Musik des 19. und 20. Jahrhunderts zugunsten des Stofflichen, des Erklingenden, des Rhythmus. Übertragen auf Klopstock ist die Situation folgende: Einerseits ging Klopstock in seiner Dichtung zunächst von den klassischen Versmaßen und Strophenschemata aus. Dagegen waren andererseits die bereits in den 1750er Jahren von Klopstock selbst erfundenen freien Rhythmen in ihrer Anfangszeit noch syntaktisch-rhetorisch gegliedert. Die Wende kam mit der Einführung der Wortfußrhythmik, d.h. mit den Wortfußgliederungen von Klopstocks nun selbst entworfenen, eigenen Strophenschemata und vor allem mit den Wortfußgliederungen seiner freien Rhythmen der 1760er Jahre. Mit der Wortfußrhythmik wurden anstelle des relativen Spannungsverhältnisses von Metrum und Rhythmus nun absolute, autonome Rhythmen gesetzt. Die Verbindung mit einer konkreten Bedeutung macht den Wortfuß zu einem Vorläufer von Richard Wagners Leitmotiv.

So öffnen die kleinen Prosaschriften, besonders diejenigen, bei denen der Prozess und die Theorie des Dichtens im Mittelpunkt stehen, letztlich einen – ja vielleicht sogar „den“ – Zugang zu diesem großen Hamburger Autor.

Friedrich Gottlieb Klopstock, Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Horst Gronemeyer, Elisabeth Höpker-Herberg (†), Klaus Hurlebusch und Rose-Maria Hurlebusch (†). Abteilung Werke IX: Kleine Prosaschriften. Band 1: Text. Hrsg. von Horst Gronemeyer und Klaus Hurlebusch. Berlin, New York 2019.

Eine Antwort zu “Klopstocks kleine Prosa”

  1. […] Als vor zwei Jahren der Textband zu Klopstocks Kleinen Prosaschriften erschien, wurde im Rahmen eines Blogartikels anhand eines kleinen Beispiels die Besonderheit dieser Texte skizziert, die in vielerlei Hinsicht ein Schlüssel zu Klopstocks poetischen Werken sein können und deren Lektüre dem Leser über den Zugang zu Klopstocks hochentwickeltem Sprachbewusstsein auch seinen Kosmos sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet: Klopstocks kleine Prosa. […]

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