40 Jahre Namenszusatz der Stabi zu Ehren Carl von Ossietzkys
9. Mai 2023
von Dr. Wiebke von Deylen — abgelegt in: Aktuelles — 7.089 Aufrufe
Im Rahmen des Gedenkens zum 50. Jahrestag der Bücherverbrennung wurde am 10. Mai 1983 in Hamburg ein Zeichen gegen das Vergessen der verfemten Autor:innen und zu Ehren der Widerständigen gegen das NS-Regime gesetzt. An diesem Tag wurde die Benennung der Stabi als „Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky“ offiziell bekannt gegeben, nachdem der entsprechende Senatsbeschluss schon am 22. März erfolgt war. Bei dem Festakt in der Bibliothek war Ossietzkys Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm anwesend zudem der Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der Wissenschaftssenator Hansjörg Sinn, die Kultursenatorin Helga Schuchardt und der Präsident der Universität Hamburg Peter Fischer-Appelt. Sie wurden wie zahlreiche geladene Gäste vom damaligen Direktor der Stabi Horst Gronemeyer empfangen, um neben der Umbenennung auch die Eröffnung des Carl von Ossietzky Lesesaals im Altbau der Stabi und einer Ausstellung zum Leben Ossietzkys zu begehen.
Der Publizist und Pazifist Carl von Ossietzky wurde am 3. Oktober 1889 in Hamburg geboren und lebte und arbeitete dort bis 1919. Dann verließ er seine Geburtsstadt und konnte in Berlin zunehmend journalistisch und politisch Einfluss auf die sich formierende Republik nehmen. Als einer der profiliertesten NS-Gegner der Weimarer Republik wurde Ossietzky bereits im Februar 1933 von den Nationalsozialisten verhaftet und verbrachte die folgenden Jahre in Gefängnissen oder in Konzentrationslagern, in denen er schwer misshandelt wurde. 1936 erhielt er nach mehrmonatigen Kampagnen im Ausland rückwirkend den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935, den er aber nicht entgegennehmen durfte. Aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit wurde Ossietzky im Herbst 1936 aus der Haft entlassen und in ein Berliner Krankenhaus verlegt. Dort blieb er unter Bewachung und von den Folgen der Folterungen gezeichnet bis zu seinem Tod am 14. Mai 1938.
Zwar wurde Carl von Ossietzky durch seine Tätigkeiten in Berlin bekannt, wie prägend aber auch die Zeit in Hamburg für seine persönliche und politische Entwicklung war, hob seine Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm in ihrer Ansprache beim Festakt hervor. Für sie war ihr Vater „ein richtiger Sohn dieser Stadt“, seine Kindheit und Jugend waren bestimmt durch Lektüre und erste Schreibversuche – „und las und las, die großen Werke und Geschichte vor allem.“ Dazu kamen Besuche von politischen Versammlungen mit seinem Stiefvater, dem Sozialdemokraten Gustaf Walther, auf denen er seiner Tochter zufolge u.a. August Bebel und Bertha von Suttner erlebte, „Eindrücke und Visionen, die seine Persönlichkeit formten“. Besonders prägend war der Einsatz für den Frieden: „Die Jugenderlebnisse bahnten den Weg zu ersten selbständigen publizistischen Arbeiten, Vorträgen und Versammlungen und immer und vor allem gegen den deutschen Militarismus, den Frieden um jeden Preis bewahren, für den Frieden alles einzusetzen. Z.B. von seinem kleinen Gehalt Geldstrafen bezahlen müssen und deswegen hungern, verurteilt werden und sitzen müssen. Schnell wurden auch die Friedensversammlungen von Wächtern und Freunden der Ordnung entdeckt.“
Die Initiative zur Benennung der Stabi nach Carl von Ossietzky wurde seit 1980 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN) vorangetrieben und fand die Unterstützung von weiteren gesellschaftlichen Gruppen. Auf der anderen Seite gab es durchaus auch Vorbehalte gegen eine solche Aktion, die mit den nicht unumstrittenen publizistisch-politischen Aktivitäten Ossietzkys in der Weimarer Republik begründet wurden oder mit der grundsätzlichen Ablehnung einer Benennung von Institutionen aus dem universitären Umfeld nach konkreten Personen, die als Helden- oder Märtyrerverehrung problematisiert wurde.
Um die Akzeptanz zu fördern und die Benennung zu untermauern, entstand Anfang der achtziger Jahre in Hamburg die Idee, in der Stabi einen „Carl von Ossietzky-Lesesaal“ einzurichten. Dieses Vorhaben wurde von der Bezirksversammlung Eimsbüttel begrüßt und mit einem Sonderetat von 10.000 DM zur Bücherbeschaffung gefördert. In dem Lesesaal sollten Veröffentlichungen von und über Ossietzky und andere pazifistische Publikationen verfügbar sein sowie die Arbeitsstelle für Exilforschung beheimatet werden. So fände die Literatur aus dem Exil neben den Werken aus dem inländischen Widerstand ihren Platz. Mit der Einrichtung des Lesesaals sollte ein Zeichen gegen das Vergessen beider Gruppen gesetzt und ihr Engagement für eine andere, freiere und friedlichere Gesellschaft gewürdigt werden.
Diese bis heute bedeutsamen Anliegen wurden in den Reden zur Umbenennung der Stabi und zur Eröffnung des Lesesaals im Altbau der Bibliothek am 10. Mai 1983 thematisiert, die in der Zeitschrift „Auskunft“ nachzulesen sind, und bilden eine Brücke zum diesjährigen Gedenktag am 10. Mai 2023.
Mehr Informationen zum Leben und Wirken unseres Namensgebers Carl von Ossietzky finden Sie auf unserer Website, im Carl von Ossietzky-Lesesaal und in unseren Katalogen.