Von der Magie des ersten Satzes
23. Juni 2016
von Markus Trapp — abgelegt in: Schätze der Stabi — 2.186 Aufrufe
Von Dominik Stoltz.
Während man bei einem gedruckten Buch anhand von Titel, Ort und Erscheinungsjahr meist genau weiß, welche Fassung eines Textes vorliegt, ist das bei Handschriften oft komplizierter. Jede Abschrift enthält kleine Abweichungen; Titel lassen sich leicht ändern und Bearbeiter werden selten genannt.
Gerade unter den handschriftlichen Textbüchern des Hamburger Stadttheaters, die mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft 2013-2015 im Handschriftenkatalog HANS erfasst werden konnten, befinden sich viele eigene Übersetzungen und Bearbeitungen von Stücken, die teilweise speziell auf das Stadttheater und den Geschmack der Hamburger von damals zugeschnitten waren.
Wir haben uns dafür entschieden, bei allen Theaterstücken die ersten auf der Bühne gesprochenen Worte bzw. Sätze (mitsamt Sprecherangaben) in den Katalog zu übernehmen. Dadurch kann oft schon ein erster Eindruck davon gewonnen werden, um was für eine Fassung es sich handelt, worum es in dem Stück gehen wird, was für Akteure und was für soziale Mileus, vorkommen werden.
Ein Beispiel dafür ist das Singspiel „Telemach“ vom Textautor der „Zauberflöte“, Emanuel Schikaneder. Die Musik von Franz Anton Hoffmeister hat sich in Hamburg nicht erhalten, dafür gibt es in Hamburg fünf Textbücher mit drei verschiedenen Fassungen des Stückes:
- die Wiener Vorlage „Der Königs-Sohn aus Ithaca“ (Signatur: Theater-Bibliothek : 417) von Schikaneder, beginnend mit
“Tillina: Nichts kann mir so gefallen / Als dies Kleinod der Natur, / Darum lieb ich auch vor allen / Nur die Blümchen auf der Flur.” - die Weimarer Bearbeitung „Telemach, Prinz von Ithaka“ (Theater-Bibliothek : 470 (1) a) von Goethes Schwager Christian August Vulpius, beginnend mit
“Eucharis: Florens buntes Prachtgeschmeide / schmückt der Fröhlichkeit Gewand; glücklich wer zu diesem Kleide”. - die Hamburger Bearbeitung „Telemach“ (Theater-Bibliothek : 470 (2) a) des Schauspieldirektors Friedrich Ludwig Schröder, beginnend mit
“Eucharis: Flora’s Kinder, neugebohren, / Haucht ihr Düfte, süß und mild, / In den Reihentanz der Horen”.
Für die Aufführung wurden jeweils zwei Textbücher benötigt, eines für die Inspektion (organisatorische Leitung: wer tritt wann auf, welche Requisiten, Beleuchtung etc.), und eines für den Souffleur. Da die Wiener Fassung in Hamburg nicht zur Aufführung kam, wurde kein zweites Textbuch davon erstellt. Für das zweite Textbuch der Vulpius-Bearbeitung sparte man sich die Mühe, die Gesangstexte vollständig abzuschreiben, daher beginnt das Soufflierbuch lapidar “Eucharis: Florens buntes Prachtgeschmeide etc.”
Wahrscheinlich benutzte der Souffleur an diesen Stellen ergänzend das gedruckte Textbuch, das auch das Publikum kaufen konnte, und das nur die gesungenen Texte enthielt. (In vielen Fällen liegt es dem Soufflierbuch bis heute bei.)