Restitution der Bibliothek von Helene und Ignaz Petschek
18. Juli 2013
von Markus Trapp — abgelegt in: Aktuelles,Ausstellungen und Veranstaltungen — 19.227 Aufrufe
Die SUB restituiert die Bibliothek von Helene und Ignaz Petschek an deren Urenkelin Frau Nancy Petschek-Kohn
„Erwerbung im Ganzen! sehr erwünscht“
Der lange Weg der Bibliothek Petschek und ihre Identifizierung im Bestand der SUB Hamburg
(Am Ende des Artikels finden Sie die Fotos der Veranstaltung zur Übergabe der Bibliothek Petschek und das Presseecho.)
Die Geschichte der 1938 beschlagnahmten Privatbibliothek der jüdischen Industriellenfamilie Petschek ist ein eindrückliches Beispiel für die langen und verschlungenen Wege, auf denen NS-Raubgut in die Bestände deutscher Bibliotheken gelangte – auch in die SUB Hamburg.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielt Ignaz Petschek (1857–1934), seit 1884 verheiratet mit Helene (geb. Bloch), große Anteile an Braunkohlewerken und Bergbaugesellschaften in Nordwestböhmen und Mitteldeutschland. Er galt nicht nur als angesehener und überaus erfolgreicher Unternehmer, sondern auch als großzügiger Mäzen und besonderer Förderer der jüdischen Gemeinde in seiner Heimatstadt Aussig (tschechisch: Ústí nad Labem).
Mit der Annexion des Sudentenlandes im Oktober 1938 fielen jedoch die dort angesiedelten Unternehmen der Petscheks, die nach Ignaz‘ Tod 1934 von seinen Söhnen weitergeführt worden waren, an das Deutsche Reich, und auch der Privatbesitz der Familie wurde beschlagnahmt und teilweise versteigert.
Das Privatvermögen der Petscheks pfändete das zuständige Finanzamt Moabit-West, um eine angebliche und schließlich bis auf 300 Mio RM hochgeschraubte Steuerschuld zu begleichen. So wurden etwa Kunstgegenstände für das Führermuseum in Linz requiriert und die Wohnungseinrichtungen der Villen in Aussig und Berlin ebenso öffentlich versteigert wie Schmuck und andere Wertsachen der Familie.
Zu diesem Zeitpunkt hatten Helene Petschek und ihre Söhne mit ihren Familien Aussig bereits verlassen: Im Sommer 1938 kehrten sie nicht aus dem vermeintlichen Urlaub in der Schweiz zurück, sondern flohen mit haitianischen Pässen über Kuba in die USA, wo ein Großteil der Familie auch heute noch lebt.
Die Teile der familieneigenen Bibliothek, die nicht öffentlich versteigert werden durften, wurden der Berliner Reichstauschstelle überlassen, die diese im Rahmen ihres „Wiederaufbauprogramms“ den vom Bombenkrieg betroffenen Bibliotheken anbot. 1943 ‚erwarb‘ die SUB diese überwiegend englisch- und französischsprachigen Titel, lagerte sie aber zunächst im Ausweichlager der Hamburger Institutionen in Schloss Hermsdorf in der Nähe von Dresden. Nach Kriegsende verblieben sie in der sowjetisch besetzten Zone und kamen erst 1957 tatsächlich in die SUB Hamburg, wo sie in die Bestände eingearbeitet wurden.
Anhand einer im Aktenmaterial der SUB Hamburg aufgefundenen Angebotsliste, auf der die Titel von der Reichstauschstelle einzeln aufgeführt worden waren, konnten im Rahmen des seit 2006 laufenden NS-Raubgut-Projekts bis jetzt über 400 Bände aus der Bibliothek von Ignaz und Helene Petschek im Bestand der SUB Hamburg ermittelt und im Bibliothekskatalog entsprechend als NS-Raubgut gekennzeichnet werden.
Es handelt sich dabei überwiegend um Klassiker der deutschen (Heine), englischen (Dickens) und französischen (Dumas, Racine) Literatur sowie um Standardwerke der französischen Geschichte und Philosophie (Rousseau, Voltaire, Guizot, Saint-Simon u.a.); doch auch ein hebräisches Gebetbuch, ein prachtvoll gebundener Band der „Encyclopedia Judaica“ und eine mehrbändige „Volkstümliche Geschichte der Juden“ gehören zu den wiedergefundenen Bänden, ebenso wie ein „Führer durch die Kunst- und kulturgeschichtlichen Museen Berlins“ oder ein Band der nachgelassenen Schriften Gustav Stresemanns.
In fast allen Bänden der „Bibliothek Petschek“ findet sich – neben dem charakteristischen Exlibris mit der Burg Schreckenstein an der Elbe, das der bekannte Wiener Kupferstecher Alfred Cossmann für die Familie entworfen hatte – auch die Bearbeitungsnummer der Reichstauschstelle, die eine eindeutige Identifizierung der geraubten Bände ermöglichte.
Im Sommer 2009 gelang es der SUB Hamburg schließlich, Kontakt zu Erben der zwischen 1938 und 1940 in die USA emigrierten Angehörigen des Aussiger Familienzweigs aufzunehmen und die Restitution der wieder gefundenen Bücher anzubieten. Nun ist es soweit, die Bücher beenden ihre lange Odyssee und kehren zur Familie zurück.
Fotos der Veranstaltung zur Rückgabe der Bibliothek Petschek am 17. Juli 2013 im Vortragsraum der Staatsbilbliothek:
Presseecho:
- NDR Hamburg-Journal: NS-Raubgut zurück in jüdischer Familie (TV)
- NDR 90,3 Abendjournal: Bibliothek gibt NS-Raubgut zurück (Radio)
- Hamburger Abendblatt (1): Staatsbibliothek gibt geraubte Bücher zurück
- Hamburger Abendblatt (2): Ein kleiner Sieg gegen das Unrecht (Kommentar von Matthias Gretzschel)
- Deutschlandradio Kultur (1): Rückkehr der Familienbibliothek
- Deutschlandradio Kultur (2): Provenienzforscher Frank Möbus über die schwierige Rückgabe geraubter Bibliotheken
- Die Welt (1): Die späte Rückgabe
- Die Welt (2): “Keiner erinnerte sich mehr an die Bücher” (Gespräch mit Nancy Petschek-Kohn)
- Berliner Morgenpost: 420 Bücher an Urenkelin jüdischer Besitzer zurückgegeben
- DIE ZEIT: Geraubte Bücher: »Im ganzen erwünscht« (Nr. 30/2013, Feuilleton, S. 42)
[…] im Stabi-Blog: „Erwerbung im Ganzen! sehr erwünscht“ – Der lange Weg der Bibliothek Petschek und ihre […]
Koldehoff fragt heute (Zwölftausend? Leider nein) in der FAZ (11.02.14, S. 35), wie denn die Restitutionsfälle gezählt werden. Die Restitution an Familie Petschek ist doch als ein “Fall” zu werten und nicht als 420 Restitutionen (für die ermittelten 420 Titel aus dem Bestand der Staatsbibliothek). Es geht ja nicht darum, den fraglos hohen und verdienstvollen Arbeitsaufwand der Staatsbibliothek zu würdigen. Koldehoff kritisiert, dass die von der Bundesregierung genannte Zahl von 12200 Restitutionen NS-verfolgungsbedingt entzogener Objekte ein falsches Bild ergibt. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2013/12/2013-12-13-bkm-provenienzforschung.html