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Autographe Partitur von Georg Anton Benda identifiziert

1. September 2022
von JN — abgelegt in: Schätze der Stabi — 1.124 Aufrufe

Bei der Vorbereitung eines Digitalisierungsauftrags konnte in diesen Tagen von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (SUB) eine bislang „nur“ als Kopistenabschrift von 1778 eingestufte handschriftliche Partitur des Singspiels Romeo und Julie von Georg Anton Benda (1722–1795) als eigenhändige Partitur des Komponisten identifiziert werden, was die Bedeutung der Handschrift und damit ihren ideellen wie auch materiellen Wert um ein Vielfaches erhöht.

G.A. Benda, Romeo und Julie (Gothaer/Hamburger Fassung von 1776/78)

Abb. 1) G.A. Benda, Romeo und Julie (Gothaer/Hamburger Fassung von 1776/78), Beginn der eigenhändigen Partitur des Komponisten (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, ND VII 35)


Bei der dreibändigen Partitur sowie den zugehörigen handschriftlichen Instrumentalstimmen (Bibliothekssignatur: ND VII 35) handelt es sich um das Aufführungsmaterial des Ackermannschen Komödienhauses, einer Vorgängerbühne des Hamburger Stadttheaters, damals geleitet von Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816). Die Noten kamen, wie sich jetzt herausstellte, bei der ersten Hamburger Aufführung des Singspiels am 28. April 1778 zum Einsatz, die unter Mitwirkung des Komponisten stattfand. Die Partitur – nicht aber die von einem Hamburger Theaterkopisten angefertigten Instrumentalstimmen – könnte Benda bereits bei der Uraufführung des Werkes am 25. September 1776 im Schloßtheater Gotha verwendet und später mit nach Hamburg genommen haben.

Im Frühjahr 1778 verließ Benda seinen Posten als Hofkapellmeister in Gotha, um sich auf eine größere Theaterreise zu begeben. Sie führte ihn zuerst nach Hamburg, wo er am 18. April 1778 eintraf 1. Hamburgs Theaterdirektor hatte sich schon seit längerem um Bendas Kommen bemüht 2. In kurzer Abfolge brachten daraufhin Schröder und Benda am Hamburger Theater eine Reihe Bendascher Monodramen und Singspiele zur Aufführung, einige davon mit mehreren Wiederholungen: Romeo und Julie (28.4.1778), Der Holzhauer (4.5.1778), Medea (12.5.1778), Der Jahrmarkt (21.5.1778) und Ariadne auf Naxos (3.6.1778). 3 Kurz vor Beginn der Aufführungsserie erschien am 24. April im Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten eine wahrscheinlich von Benda selbst oder Schröder veranlaßte Rezension des im Frühjahr 1778 in Leipzig erschienenen gedruckten Klavierauszugs von Bendas Singspiel Romeo und Julie, beginnend mit der Bemerkung: „Benda macht nun auch als Opern-Componist den Deutschen wirklich Ehre, und sein Name muß genannt werden, wenn man von Hasse, Graun und Naumann spricht. Romeo und Julie ist vortrefflich componirt.“ Es folgen kurze Beschreibungen einzelner Arien, Duette, Rezitative und des Trauerchores. Die Rezension endet hintersinnig mit dem Hinweis: „Möchten wir doch bald das Vergnügen haben, auch in Hamburg diese Oper zu hören!“ Wenige Tage später war es dann soweit.

Die Instrumentalstimmen des Hamburger Aufführungsmaterials konnte der Verfasser dieses Beitrags schon vor längerer Zeit als von der Hand des hiesigen Theaterkopisten Heinrich Georg Michael Damköhler stammend identifizieren. 4 Der erneute Blick auf das Material, geschärft durch das Zusammentragen der Fakten des oben skizzierten Hintergrunds, legte nun die Überlegung nahe, ob die zugehörige Partitur des Aufführungsmaterials womöglich das Autograph des Komponisten sein könne. Tatsächlich zeigt der Vergleich mit dem in der Staatsbibliothek zu Berlin vorhandenen Bendaschen Teilautograph der erweiterten Mannheimer Fassung von Romeo und Julie aus dem Jahr 1784 sowie weiteren Autographen Bendas ohne jeglichen Zweifel, daß auch die Hamburger Singspiel-Partitur von der Hand des Komponisten stammt. Gut vergleichbar sind beide Autographe beispielsweise am Beginn der Partituren (Abbildungen 1 und 2) mit den für Bendas Handschrift charakteristischen Notenschlüsseln, Taktangaben und Achtelpausen, um nur einige markante Merkmale seiner Handschrift zu nennen.

G.A. Benda, Romeo und Julie (Mannheimer Fassung von 1784)

Abb. 2) G.A. Benda, Romeo und Julie (Mannheimer Fassung von 1784), Beginn der eigenhändigen Partitur des Komponisten (Staatsbibliothek zu Berlin, Mus. ms. autogr. Benda, G. 9)

Der erneute Blick auf das Notenmaterial förderte nun ebenfalls zutage, daß auch einige der überwiegend von Damköhler geschriebenen Instrumentalstimmen zu Romeo und Julie eigenhändige Korrekturen und Ergänzungen des Komponisten enthalten, Benda somit auf die Herstellung des Hamburger Aufführungsmaterials Einfluß nahm: Violino Concertato (folio 9v, 10r), Violino Primo (Nr. 2) (fol. 9v, 10r), Violino Secundo (Nr. 2) (fol. 9r) und Basso (quer) (fol. 8r).

Als wären damit die im Hamburger Stadttheater-Musikalienbestand der SUB hinterlassenen persönlichen Spuren Bendas noch nicht genug, erwiesen sich die Instrumentalstimmen zu Bendas Singspiel Der Holzhauer (ND VII 34) als ebenfalls ergiebig (eine ehemals vorhandene zugehörige handschriftliche Partitur ist seit der kriegsbedingten Verlagerung 1943/44 verschollen). Hier sind es die Stimmen Violino Primo (Nr. 2), Violino Secundo (Nrn. 1 und 2), Viola Secunda, Clarino Primo, Clarino Secundo und Timpani sowie die Partitur der Einlegearie „Von Schmerzen der Liebe geplaget“, die der Komponist in diesem Fall sogar vollständig geschrieben und sich auf diese Weise aktiv an der Herstellung des Notenmaterials beteiligt hat.

Durch die Identifizierung Bendas als Schreiber der kompletten Partitur zu Romeo und Julie sowie dessen Beteiligung an der Herstellung der Instrumentalstimmen zu zweien seiner Singspiele erweist sich der 1929 von der Stadttheater-Gesellschaft an die SUB Hamburg übergebene Notenbestand zu etwa 450 Musiktheaterwerken einmal mehr als Fundgrube für Entdeckungen unterschiedlichster Art. Trotz einiger Publikationen aus den letzten 25 Jahren 5 ist dieser Bestand längst noch nicht hinreichend beforscht, was als Einladung für interessierte Wissenschaftler betrachtet werden darf, sich diesen musikhistorischen Quellen verstärkt zuzuwenden.

Dr. Jürgen Neubacher (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg)


  1. Hamburgische Addreß-Comptoir-Nachrichten vom 23.4.1778, S. 256. []
  2. Vgl. Franz Lorenz: Die Musikerfamilie Benda, Bd. 2: Georg Anton Benda, Berlin 1971, S. 88–90. []
  3. Alle Aufführungsdaten nach Hamburgische Addreß-Comptoir-Nachrichten 1778, S. 262, 276, 295, 318 und 341; vgl. auch Lorenz, S. 90. []
  4. Jürgen Neubacher: Der Bach-Kopist Heinrich Georg Michael Damköhler und seine Rolle im Hamburger Musikleben der 1770er und 1780er Jahre. Mit neuen Quellen zur Händel-Rezeption in Hamburg, in: Bach-Jahrbuch 2014, S. 97–130. []
  5. Auswahl: Jürgen Neubacher: Die Webers, Haydn und ‚Der Aepfeldieb‘. Eine Untersuchung der Musikhandschrift ND VII 168 der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. In: Festschrift Christoph-Hellmut Mahling zum 65. Geburtstag, hrsg. von Axel Beer u. a., Tutzing 1997 (= Mainzer Studien zur Musikwissenschaft, 37), S. 989–1008. –– Musiktheater in Hamburg um 1800, hrsg. von Claudia Maurer Zenck, Frankfurt am Main 2005 (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, 22). –– Mozart und Hamburg. Ausstellung zum 250. Geburtstag des Komponisten in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. 27. Januar bis 18. März 2006, Hamburg 2006. –– Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770–1850), hrsg. von Bernhard Jahn und Claudia Maurer Zenck, Frankfurt am Main 2016 (= Hamburger Beiträge zur Germanistik, 56). –– Musik, Bühne und Publikum. Materialien zum Hamburger Stadttheater 1770–1850, hrsg. von Claudia Maurer Zenck, Frankfurt am Main 2017 (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, 32). []

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