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Die Neuentdeckung eines Autors: Die Borchert-Box feiert ihren ersten Jahrestag

20. Mai 2022
von Konstantin Ulmer — abgelegt in: Aktuelles,Ausstellungen und Veranstaltungen — 789 Aufrufe

Wolfgang Borchert, am 20. Mai 1921 als erstes und einziges Kind von Fritz und Hertha Borchert geboren, war bereits als Jugendlicher überzeugt, dass in ihm ein Genie schlummerte. Allerdings: Seine quantitativ enorme schriftstellerische Produktion – oft schrieb der Sechszehnjährige rund zehn Gedichte täglich – ließ nicht allzu viel Talent erkennen. Einen „Allesversucher und Nichtskönner“ hat sein Biograf Peter Rühmkorf den Nachwuchspoeten deswegen genannt. Und doch feierte Borchert noch in jungen Jahren seinen Durchbruch: Als sein Hörstück Draußen vor der Tür im Februar 1947 über die nachkriegsdeutschen Hörfunksender knisterte und ein lautstarkes Echo hervorrief, war er 25 Jahre alt. Bis zu seinem frühen Tod am 20. November 1947 hatte Borchert ein Werk geschaffen, das ihn postum zu einem der wenigen Autoren machte, die generationsprägend genannt werden können.

Von der jugendlichen Selbstüberschätzung war in den wenigen Monaten, in denen er selbst einen „Borchert-Rummel“ wahrnahm, allerdings kaum noch etwas übrig. Nachdem sein Verleger Ernst Rowohlt ihm den neuen Katalog des reputationsreichen Verlags in die Schweiz geschickt hatte, wo sich der schwerkranke Borchert seit Mitte September 1947 zu regenerieren versuchte, und sich der Autor »an die erste Stelle« gesetzt sah, glaubte er an einen schlechten Witz. Aktualität sei schließlich kein Qualitätszeichen. »In zwei Jahren«, so Borchert in seinem vermutlich letzten Brief am 15. November 1947 an den Verlagsdoyen, »wird kein Mensch das Zeug mehr lesen.«

Weil es anders kam, weil Borchert viele Autor:innen prägte und viele Leser:innen faszinierte, übergab seine Mutter Hertha, die es als Plattdeutsch-Autorin selbst zu regionaler Bekanntheit gebracht hatte, den Nachlass ihres berühmten Sohnes 1976 an die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, wo er seitdem gehütet und erschlossen wird. Ein Versprechen, das bei der Übergabe gegeben worden war, haben wir im 100. Geburtsjahr des Autors endlich erfüllt: Der Nachlass Wolfgang Borcherts wurde im Hauptgebäude der Bibliothek zugänglich gemacht. Unsere Borchert-Box mit der Dauerausstellung zu Leben und Werk des Autors, die unter dem Titel Dissonanzen. Wolfgang Borchert 1921-1947, läuft, feiert nun ihren ersten Jahrestag.

Die Borchert-Box in der Stabi
(c) Dauphin HumanDesign® Group / Leniger Fotografie

 

Dass wir die Borchert-Box wegen des Lockdowns zunächst nur virtuell eröffnen konnten, war schade. Der Resonanz schadete es aber kaum. Zur Ausstellungseröffnung schrieben ca. 200 Printausgaben über die Box. Zahlreiche Online-Portale, auch aus Luxemburg, Österreich und der Schweiz, berichteten ebenfalls. Allein vier Beiträge zur Ausstellung und zum runden Geburtstag liefen im Deutschlandfunk/Deutschlandfunk Kultur. Das Hamburg Journal vom NDR besuchte die Box ebenso wie das Heute Journal vom ZDF. Für eine große Geburtstagsveranstaltung im Rahmen des stadtweiten Literaturfestivals „Hamburg liest Borchert“, die ebenfalls nur digital stattfinden konnte, war der Kultursenator Carsten Brosda zu einem Gespräch in der Box zur Gast.

Borcherts Zimmer in der Borchert-Box (c) Dauphin HumanDesign® Group / Leniger Fotografie

 

An Ernst Rowohlt hatte Borchert in seinem Brief vom 15. November 1947 geschrieben: „Wenn meine Sachen in zwei Jahren immer noch gelesen werden, dann kann ich ja einen Platz aufrücken.“ Borcherts „Sachen“ waren etliche Jahre auf den vorderen Plätzen, dann wieder weiter hinten. Vor allem aber wurden sie immer wieder in verschiedene Schubladen der Rezeption gesteckt, aus denen sie sich nur schwer befreien konnten. Wir hoffen, mit unseren Ausstellungen und der Digitalisierung seiner Werke einen Beitrag zur Wieder- und Neuentdeckung Borcherts geleistet zu haben.

Interessierte können die Borchert-Box in den Öffnungszeiten der Bibliothek vor Ort oder über die Website borchert.sub.uni-hamburg.de weiterhin besichtigen.

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