Beethoven zum 250. Geburtstag am 16.12.2020
16. Dezember 2020
von JN — abgelegt in: Aktuelles,Schätze der Stabi — 4.213 Aufrufe
Anlässlich des 250. Geburtstages von Ludwig van Beethoven – bekannt ist nur das Taufdatum (17.12.1770), das jedoch nach damaliger Gepflogenheit auf den Vortag als Geburtsdatum rückschließen lässt – möchte die Staatsbibliothek an eines ihrer berühmtesten Sammlungsstücke erinnern: Beethovens sogenanntes Heiligenstädter Testament. Wann und wie es in die Bibliothek kam, erfahren Sie im folgenden Beitrag.
Beethoven verfasste das Dokument im Alter von 32 Jahren während eines Kuraufenthalts in Heiligenstadt bei Wien unter dem Eindruck der für ihn traumatischen Mitteilung, dass sein Gehörleiden unheilbar sei und zur vollständigen Ertaubung führen würde. Das Schriftstück ist in erster Linie als ein psychologisches Zeugnis zu werten, in dem sich Beethoven sein Schicksal selbst eingesteht und zu verarbeiten sucht. Adressaten des 1827 versiegelt in Beethovens Nachlass gefundenen Dokuments sind dessen gesetzliche Erben, die Brüder Caspar Anton Carl und Nikolaus Johann.
Hier finden Sie zum Herunterladen eine Textübertragung des Dokuments im PDF-Format sowie ein Digitalisat: resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/HANSw24716. Ein Klick auf die beiden Vorschaubilder dieses Artikels zeigt Ihnen das Autograph auch in größerer Ansicht.
Zur Überlieferung
Interessant aus Hamburger Perspektive ist nun aber der weitere Überlieferungsweg des Schriftstücks. Das Autograph gelangte nach Beethovens Tod zunächst in die Hände von Beethovens Wiener Verleger Domenico Artaria, der als Mitglied der amtlichen Schätzungskommission Zugang zu Beethovens Nachlass hatte. Er übergab es noch 1827 Jacob Hotschevar, dem Vormund von Beethovens Neffen Karl. Von ihm übernahm es Karls Mutter, Johanna van Beethoven, die Schwägerin des Komponisten. Sie übergab das Autograph 1840 mit der Bitte, es für sie zu veräußern, dem Pianisten und Komponisten Franz Liszt, der es auf einer Konzertreise mit nach London nahm und dort nach einigen Fehlschlägen und unter Aufstockung des Kaufpreises (zugunsten Johanna van Beethovens) 1842 an den Geigenvirtuosen Heinrich Wilhelm Ernst verkaufen konnte. Ernst wiederum schenkte es 1855 der Sängerin Jenny Lind.
Wer war Jenny Lind?
Die schwedische Sängerin Jenny Lind (1820–1887) galt bei ihren Zeitgenossen aufgrund ihrer bemerkenswerten Stimme und Gesangstechnik als eine der anerkanntesten Sopranistinnen des 19. Jahrhunderts. Nachdem sie bereits mit 22 Jahren zur Primadonna am Königlichen Theater in Stockholm aufgestiegen war, begann mit ersten auswärtigen Gastauftritten an der Königlichen Oper in Berlin (1844) und am Hamburger Stadttheater (29.3.1845, siehe Theaterzettel) ihre internationale Karriere. Insbesondere der erste Auftritt in Hamburg, der sich noch im selben Jahr in dem Büchlein „Jenny Lind in Hamburg“ sowie dem Bühnenstück „Jenny Lind und die Hamburger, oder ein Ständchen im Jungernstieg“ von Adolf Schirmer niederschlug, beförderte ihre Beliebtheit beim Hamburger Publikum in einem ungeahnten Maße. Es war dann später ihre tiefempfundene Dankbarkeit gegenüber den Hamburgerinnen und Hamburgern nach ihren Auftritten in der Hansestadt, bei denen sie 1849 auch ihren künftigen Gatten und Klavierbegleiter Otto Goldschmidt (1829–1907) kennenlernte, die sie und ihren Mann (ein gebürtiger Hamburger) dazu veranlasste, das Heiligenstädter Testament nach ihrem Tod der Hansestadt zu übereignen.
Schenkung an die Hamburger Stadtbibliothek
In einem „An die Stadtbibliothek zu Hamburg“ adressierten Begleitbrief zur Übersendung des Heiligenstädter Testaments erläuterte Otto Goldschmidt am 15.9.1888 seine und die Beweggründe seiner Frau:
„Ich habe hiermit das Vergnügen der Hamburger Stadtbibliothek das Autograph von L. van Beethoven’s Testament aus dem Jahre 1802, (mit Nachschrift vom 10 Oktober 1802) als bleibendes Eigenthum zu überweisen. Diese Schenkung erfolgt laut einer zwischen meiner verstorbenen Frau (Jenny Lind-Goldschmidt) und mir im vorigen Sommer (1887) getroffenen Vereinbarung und die Gabe ist demnach eine gemeinsame von uns Beiden. Meine verstorbene Frau leitete bei diesem Beschluße nicht der für mich so natürliche Gedanke, der Vaterstadt Etwas Einziges zuzuwenden, das nach Unserer Meinung endlich eine bleibende öffentliche Stätte finden sollte, sondern ihre warme Zuneigung zu einer deutschen Großstadt, in der sie zu allen Zeiten, und namentlich in ihrer Jugend, warme Aufnahme in jeder Richtung gefunden hat.“
Am Schluss des Schreibens äußerte er den Wunsch, der „zugleich vollkommen dem Sinne der verstorbenen Mitgeberin entspricht, daß dieses so Viele interessirende Autograph, so weit dies mit einer möglichst guten Erhaltung vereinbar ist, dem Publikum nach Kräften zugänglich gemacht werde.“
In diesem Sinne präsentiert die Bibliothek bei geeigneten Anlässen wie zuletzt in der großen Beethoven-Ausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn (17.12.2019–26.4.2020) die wertvolle Reliquie der Öffentlichkeit. Seit 2017 stellt sie das Dokument frei zugänglich und zum Herunterladen ins Netz. Außerdem ist es in Form zahlreicher Faksimile-Ausgaben verbreitet worden, zuletzt 1999 in einer Kooperation zwischen dem Beethoven-Haus Bonn und der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.
Dr. Jürgen Neubacher (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg)
Weiterführende Informationen:
- Jenny Lind
- [Textedition:] Ludwig van Beethoven. Briefwechsel. Gesamtausgabe. Im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn hrsg. von Sieghard Brandenburg, Bd. 1, München 1996, S. 121–125
- [Überlieferungsgeschichte:] Ludwig van Beethoven. Heiligenstädter Testament. Hrsg. zum 125. Todestag des Meisters von Hedwig Müller von Asow, Hamburg 1952, S. 7–13
- [empfehlenswerte Faksimile-Ausgabe:] Beethoven. Heiligenstädter Testament. Faksimile der Handschrift mit Übertragung und Kommentar hrsg. von Sieghard Brandenburg, Bonn 1999 (= Veröffentlichungen des Beethoven-Hauses in Bonn, Reihe 3, Bd. 12) (Vertrieb: Verlag des Beethoven-Hauses Bonn)