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Restitution Hans Sternheim: Die SUB gibt Bücher an die Enkelin eines Patenkinds von Theodor Fontane zurück

28. Oktober 2019
von Redaktion — abgelegt in: Aktuelles — 1.883 Aufrufe

Von der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut.

Der Raum 312 im Altbau der Staatsbibliothek war am 24. Oktober 2019 gut gefüllt: auf Einladung der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut waren viele Interessierte gekommen, um bei einer Restitution von Büchern dabei zu sein und so einen besonderen „Fall“ der Arbeitsstelle zum Abschluss zu bringen.

Jacob Hans Sternheim Der Hintergrund: Jacob Hans Sternheim wurde 1880 in eine Berliner Bankiersfamilie geboren. Die Sternheims waren enge Freunde der Familie Theodor Fontanes. Sie traten schon im späten 19. Jahrhundert vom Judentum zum Protestantismus über. Als ihr Sohn Hans 1893 getauft wurde, übernahm Fontane die Patenschaft und blieb bis zu seinem Tod 1898 in enger Verbindung mit seinem Patenkind.

1934 wurde Hans Sternheim als Geschäftsführer der Druckerei entlassen, für die er fast vierzig Jahre lang gearbeitet hatte. Zwischen 1936 und 1939 mussten Hans und seine Frau Ida, die in der NS-Zeit beide als „Volljuden“ verfolgt wurden, mehrfach in immer engere Quartiere umziehen. Die Entscheidung Hans Sternheims, im Mai 1939 Bücher zu verkaufen, ist im Zuge wachsender finanzieller Not gefallen. Dieser unfreiwillige Verkauf ist somit als NS-Raubgut im Sinne der Washingtoner Erklärung einzustufen.

Als die Sternheims Ende 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden, hatten sie keinerlei finanzielle Mittel mehr. 1944 wurden sie in Auschwitz ermordet. Ihr einziges Kind Käthe Mertens, geschiedene Frau eines nichtjüdischen Berufsoffiziers, musste in Berlin Zwangsarbeit leisten. Anfang 1944 konnte sie untertauchen und überlebte den Krieg in der Oberlausitz. Käthe Mertens‘ 1929 geborene Tochter Ingrid lebt bis heute in Berlin. Im Sommer 2019 hat die Arbeitsstelle Provenienzforschung der SUB Kontakt zu ihr aufgenommen. Sie war über die Verbindung hoch erfreut und hat sich entschieden, die Bücher ihres Großvaters in der SUB zu belassen, In einer großzügigen Geste hat sie uns sogar noch etwas zusätzlich geschenkt: Familienfotos, Originaldokumente, Briefe und zwei Bände mit Fontane-Gedichten aus Familienbesitz – darunter einen mit persönlicher Widmung Theodor Fontanes an Hans Sternheims Mutter Marie, „in herzlicher Freundschaft“. Als Teilnachlass Hans Sternheim gehört das Konvolut nun zu den Sondersammlungen der SUB.

Ingrid Mertens bei der Unterschrift des Schenkungsvertrages

Am 24. Oktober kam die 90-jährige Ingrid Mertens nach Hamburg. In einer bewegenden Feierstunde restituierte die SUB die fünf aufgefundenen Bücher und nahm die Schenkungen von Frau Mertens in Empfang. Provenienzforscherin Anneke de Rudder informierte die Anwesenden über die Recherchen zu den Büchern und der Familie Hans Sternheims. Prof. Robert Zepf, Direktor der SUB, bedankte sich für die geschenkten Bücher. „Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg hat nach 1933 viele Bände in den Bestand aufgenommen, die nach heutigen Kriterien NS-Raubgut sind. Seit vielen Jahren arbeiten wir daran, diese Zugänge aufzufinden, zu dokumentieren und zu kennzeichnen und nach Möglichkeit den Eigentümern bzw. deren Erben zurückzugeben. In vielen Fällen ist dies leider nicht mehr möglich. Ich bin daher sehr froh, dass wir durch die intensiven Recherchen der Arbeitsstelle Provenienzforschung diese Restitution vornehmen können und bin sehr berührt und dankbar über das großzügige Geschenk von Frau Mertens.“
In Hans Sternheims Büchern in der SUB wird von nun an ein Exlibris an den leider fast vergessenen Bücherfreund und seine tragische Geschichte zwischen Fontane und Auschwitz erinnern.

Exlibris in Hans Sternheims Büchern in der SUB

Gebannt lauschten Kolleg*innen, Freund*innen und Journalist*innen der kurzen Ansprache von Frau Mertens, der Enkelin des Eigentümers der fünf Bücher „aus nichtarischem Besitz“, die die SUB 1939 in einer Auktion preiswert erworben hatte: „Leider leben wir nun auch in Deutschland erneut in einer Zeit des zunehmenden Antisemistismus. Ich hatte das nicht für möglich gehalten, und es macht mich nachdenklich und traurig zugleich, dass der Rechtsradikalismus in unserem Land derart rasant an Zustimmung gewinnt.“ Hans Sternheims Enkelin schloss Ihre Rede mit den Worten „Möge auch durch Ihre Wachsamkeit nicht aus dem NIE WIEDER ein DOCH WIEDER werden“.
Diesem Appell können wir uns gerade nach den Wahlergebnissen in Thüringen nur anschließen.

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