Open Access aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers
22. Oktober 2019
von Redaktion — abgelegt in: Aktuelles,Open Access — 2.370 Aufrufe
von Dr. Tim Boxhammer | ORCiD 0000-0002-9632-5947
Die Philosophie von Open Access in der naturwissenschaftlichen Forschung begleitet mich seit meinem meereswissenschaftlichen Studium in Kiel. Als Student hatte ich dort ausschließlich im Institut uneingeschränkten Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Im Zuge meiner Promotion im Bereich der marinen Klimafolgenforschung ist zu dem Ideal des freien Zugangs zu wissenschaftlichem Fachwissen auch die Bedeutung der freien Nachnutzbarkeit von Publikationen und Forschungsdaten hinzugekommen. Wie würde ich also heute Open Access definieren?
Definition von Open Access
Open Access ist die freie und unentgeltliche Nutzbarkeit von wissenschaftlichen Publikationen, Forschungsdaten und -software, welche nachhaltig, dezentral und mit möglichst geringen technischen und rechtlichen Hürden weltweit digital zur Verfügung gestellt werden. Bis heute ist dieses Ideal nur in Teilen Realität.
Open Access in der naturwissenschaftlichen Forschung
Forschung lebt vom internationalen und interdisziplinären Wissenstransfer, der den Boden für Fortschritt, Innovation und Kooperation bereitet. Open Access verstärkt dabei die Transparenz und Sichtbarkeit von publizierten Ergebnissen und erhöht damit deren Einfluss auf den aktuellen, wissenschaftlichen Diskurs und die Erschließung zukünftiger Forschungsfelder. Die unmittelbare, weltweite Verbreitung von Publikationen im digitalen Zeitalter beschleunigt zusätzlich diesen Prozess.
Der Kulturwandel in der Wissenschaft von geschlossener zu offener Publikationspraxis ist in den Naturwissenschaften in Deutschland in vollem Gange. Dies geschieht nicht zuletzt durch die Vorgaben wichtiger Forschungsförderer, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die mit ihren Leit-/Richtlinien die Publikation in Open-Access-Formaten fördern und fordern.
Bedeutung von Open Access für mich
Über 90 % meiner begutachteten Fachpublikationen habe ich bewusst in Open-Access-Zeitschriften veröffentlicht und die zugrundeliegenden Datensätze in öffentlich zugänglichen Repositorien hinterlegt. Repositorien sind Dokumentenserver, auf denen wissenschaftliche Erkenntnisse in digitaler Form gesammelt und bereitgestellt werden. Dies bedeutet auch, dass ich als Autor im Besitz der Verwertungsrechte an meinen Werken und Daten bleibe und entsprechend der freien Lizenz (Creative Commons) meine Publikationen mit Kolleg*innen teilen und weiter verbreiten darf. Zusätzlich können Wissenschaftler*innen und Entscheidungsträger*innen weltweit meine Erkenntnisse und Daten uneingeschränkt nachnutzen, z. B. für die Modellberechnung von marinen Stoffkreisläufen in Zeiten des Klimawandels.
Impact Factor vs. Open Access
Die Bewertung von individueller Leistung in den Naturwissenschaften wird zum großen Teil am so genannten Impact Factor von Zeitschriften gemessen, in denen Forschende publizieren. Der Impact Factor ist ein Maß für die Häufigkeit, mit der die Artikel einer Fachzeitschrift in anderen Publikationen zitiert werden. Er reflektiert damit die Bedeutung der Zeitschrift in dem jeweiligen Forschungsfeld. Trotz des Kulturwandels sind viele Fachzeitschriften mit hohem Impact Factor kostenpflichtig und nicht Open Access. Einige dieser Zeitschriften bieten jedoch die Möglichkeit einzelne Artikel für eine erhöhte Publikationsgebühr Open Access zu veröffentlichen.
Die Publikationsleistung gemessen am Impact Factor ist Grundlage für das eigene wissenschaftliche Renommee und damit auch wichtiger Bestandteil bei der Akquise von Forschungsgeldern. Folglich erlangt der Impact Factor bei der Publikation von Ergebnissen einen höheren Stellenwert als der technisch wie rechtlich freie Zugang zu Wissen und dessen Nachnutzbarkeit. Insbesondere Erkenntnisse mit einem hohen Innovationsgrad innerhalb der Naturwissenschaften erscheinen deshalb häufig in nicht frei zugänglichen Fachzeitschriften mit hohem Impact Factor.
Wie sehe ich die Zukunft von Open Access?
Öffentlich geförderte Forschung und alle daraus resultierenden Erkenntnisse müssen frei zugänglich sein. Nur so sehe ich die globale, barrierefreie Verbreitung von Fachwissen unter Forschenden, aber auch die Grundlage für transparente Wissenschaftskommunikation mit der Gesellschaft gesichert. Langfristig bedeutet dies, dass wissenschaftliche Publikationen ausschließlich in Open-Access-Zeitschriften erfolgen oder unmittelbar in Open-Access-Repositorien zur freien Verfügung gestellt werden. Eine Koalition aus europäischen Forschungsförderern will genau dies mit Unterstützung der Europäischen Kommission und dem Europäischen Forschungsrat ab 2021 in die Tat umsetzen (cOAlition S).
Die globale, uneingeschränkte Verfügbarkeit von Fachwissen sehe ich als Schlüssel für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit. Bibliotheken können hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Die Förderung von Open Access im Rahmen von Schulungs- und Beratungsservices sowie die Bereitstellung von Publikationsangeboten wie Open-Access-Repositorien und Hosting für wissenschaftliche Open-Access-Fachzeitschriften gehören zu den wichtigen Kompetenzen von wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland.