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Hinter den Kulissen: Autopsie in der Bibliothek

15. Mai 2007
von ST — abgelegt in: Aufgelesen — 5.206 Aufrufe

Ja, jetzt wird es spannend. Seit wann haben denn die Rechtsmediziner ihren Arbeitsplatz in die Welt der Bücher verlegt? Gibt es schon einen Termin, wann auch das interessierte Publikum daran teilhaben kann? Weder noch. Wer beim Begriff Autopsie die innere Leichenschau assoziiert, liegt damit nicht falsch, ist aber bibliotheksbezogen auf dem Holzweg. Bei uns darf auch ganz Lebendiges (vom aktuellen Sachbuchbestseller bis zum spannenden Krimi) auf ein ordnungsgemäßes Autopsieprinzip hoffen: es handelt sich dabei schlichtweg um die Katalogisierung anhand von vorliegenden Originalen.

Ebenso blutig kommt ein weiterer Begriff daher: köpfen. Sie glauben nicht, dass das jahrzehntelang gängige Praxis in allen Bibliotheken war? Und ob. In Zeiten, als die Bibliotheksbestände noch über Zettelkataloge nachgewiesen wurden, erhielt jeder Titel eine Karte für die Haupteintragung und – falls nötig – eine oder weitere Karten als Verweisung. Auf diesen Karten musste nun natürlich ein entsprechender Sortiereintrag angebracht werden: der Kopf. Und wer das tat, der köpfte…

Damit nicht genug: auch durchschossene Exemplare gehören in die Bibliothekswelt. In wenigen Fällen verbirgt sich dahinter ein von einer Kugel durchlöchertes Werk (so soll eines einst dem Dichter H.C. Artmann das Leben gerettet haben). Ansonsten wird damit vielmehr ein „gebundenes Buch, bei dem auf jede Schriftseite eine Leerseite folgt; diese dient zur Anbringung von Korrekturen und Notizen“ verbunden. Aha!

Zum Abschluss noch ein Begriff mit Tagesaktualität: Fingerprint. Klar, wer denkt jetzt nicht an den biometrischen Reisepass, künftig nur noch unter Abgabe zweier Fingerabdrücke erhältlich? Da Bücher keine Finger haben, mussten sich Bibliothekare etwas anderes einfallen lassen, um bei alten Drucken die unterschiedlichen Ausgaben desselben Werkes unterscheiden und eindeutig indentifizieren zu können. Dazu wird eine Kombination von 16 Zeichen in 4 Gruppen verwendet, die von zuvor festgelegten Seiten des Buches entnommen werden. Und schon haben wir einen einzigartigen Fingerprint.

Man fragt sich, wieso bloß haben Bibliotheken so einen Graue-Maus-Ruf? An unseren Fachbegriffen liegt es jedenfalls nicht.

4 Antworten zu “Hinter den Kulissen: Autopsie in der Bibliothek”

  1. Axel Schaper sagt:

    Danke für die launigen Anmerkungen: in meiner Biographie keine Leerseite, da ich gelernt habe, dass Visierungsbücher nicht den Zweck haben, jemanden “ins Visier” zu nehmen…

  2. ST sagt:

    Zwei weitere schöne Begriffe aus der Welt der Bibliotheken sind Kettenbuch und Büchernest. Den Uni Bamberg News gelang es, von letzterem eines der seltenen Fotos dieser Gebilde zu ergattern. 😉

  3. Axel Schaper sagt:

    Frau Töppe, Sie haben ja wirklich die Ruhe weg: das Büchernest, das Sie hier so cool vorstellen, ist in Wirklichkeit die verloren geglaubte erste Entwurfsskizze zum bird’s nest von Herzog & de Meuron nach der weltweit so fieberhaft gesucht wird wie nach den Ausführungen des Aristoteles zur Komödie…

  4. ST sagt:

    In der Ruhe liegt die Kraft…

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