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“Kleine Meerfrau Aranka”. Stabi erwirbt beeindruckendes Konvolut von Borchert-Briefen

18. Oktober 2023
von Konstantin Ulmer — abgelegt in: Aktuelles,Hamburg,Schätze der Stabi — 803 Aufrufe

Konvolut von Briefen Wolfgang Borcherts an Aranka Jaenke

Konvolut von Briefen Wolfgang Borcherts an Aranka Jaenke

Der Nachlass Wolfgang Borcherts (1921–1947) ist einer der eindrucksvollsten und bedeutendsten Bestände in den Sondersammlungen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Neben der Flachware – also Manuskripten, Briefen, Zeichnungen und Fotografien – beinhaltet der Nachlass auch Borcherts Bibliothek und zahlreiche persönliche Gegenstände wie die Tabakpfeife des Autors, das Buddelschiff „Tui Hoo“ oder ein getrocknetes Seepferdchen. Seit dem 100. Geburtstag des Autors im Mai 2020 können Interessierte den Bestand in der eigens errichteten „Borchert-Box“ vor Ort und in einer virtuellen Präsentation besichtigen. Abgeschlossen ist die Sammlung indes noch nicht, weil immer wieder Briefe, Skizzen oder signierte Bücher auftauchen, mit denen der Bestand ergänzt wird. Jüngst hat die Stabi ihre Borchert-Sammlung um ein besonderes Konvolut ergänzt: Aus dem Nachlass der Schauspielerin Aranka Jaenke-Mamero konnten fünf Briefe von Wolfgang Borchert erworben werden, zu denen der Autor drei handschriftliche Gedichte beigelegt hatte, zwei davon extra für die Adressatin verfasst. Zudem erhielt die Stabi etliche Fotos der Schauspielerin.

Meine liebe Aranka

“Meine liebe Aranka”

Vier der fünf Briefe an Aranka Jaenke stammen aus einer Zeit, in der Borchert sich selbst bereits als Künstler fühlte und inszenierte, aber in den Zwängen seiner Zeit gefangen war. Nach einem Schauspielstudium bei Helmuth Gmelin und einem kurzen Engagement an der Landesbühne Osthannover mit Sitz in Lüneburg, mit der er mit niederdeutschen Lustspielen durch die Kleinstädte in der Umgebung tourte, wurde Borchert im Juni 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Die Ausbildung als Panzergrenadier erfolgte in Weimar-Lützendorf. Aranka Jaenke, damals 17 Jahre alt, war ebenfalls Schauspielschülerin bei Gmelin und hatte auf dessen Schreibtisch einen Brief in grüner Tinte gesehen, der von Gmelins ehemaligem Schüler Borchert stammte. Der Schauspiellehrer vermittelte den Kontakt und Borchert antwortete in den vier Briefen (Poststempel 7., 11., 15. und 28. August 1941) mit dem schwärmerischen Pathos eines 19-Jährigen, der sich durch ein hohes Sendungs- und Selbstbewusstsein auszeichnete. Ein zentrales Thema der Briefe war natürlich das Theater. „Du rührst in Deinem Brief“, schrieb er in dem zweiten überlieferten Brief an Jaenke, „an einem der wesentlichsten Probleme des Theaterspielens: Spielen oder Leben auf der Bühne! Die großen männlichen Schauspieler der Theatergeschichte haben gesagt … selbstverständlich spielen! Die großen Frauen aber sagen … natürlich leben!“ Zu seiner Zeit an der Landesbühne merkte er an: „Es waren zwar alles nicht meine Rollen, ich bin mehr Franz Moor, Oswald, Wurm usw. Aber dieses viertel Jahr ist für mich mein ganzes bisheriges Leben.“ Dass er nicht nur Schauspieler, sondern auch Lyriker sei, versuchte er mit gespielter Bescheidenheit anzubringen. So kommentierte er das beigelegte Gedicht Sommerabend wie folgt: „Ein winziges Gedicht, das schon gedruckt ist, hab ich noch im Kopf – es liegt bei diesem Brief. Es hat nur das eine Gute, daß es schön kurz ist!“

Borcherts Gedicht 'Sommerabend'

Borcherts Gedicht ‘Sommerabend’

Ein weiteres wiederkehrendes Motiv der Briefe ist ebenso Borchert-typisch: Er bemühte sich merklich um die Gunst der Unbekannten und machte der zwei Jahre jüngeren Jaenke, die er vielleicht einmal flüchtig beim gemeinsamen Lehrer Gmelin gesehen hatte, absatzweise Komplimente, erhob sie gar zur Verkörperung von „Reinheit und Wahrheit“. Auch bei dieser pathetischen Umwerbung versuchte sich Borchert in einer Inszenierung, die sich in einigen anderen Briefen, die er in der Zeit an andere Freundinnen schickte, ebenfalls wiederfindet. Er selbst sei zwar „als unmoralisches Schwein verrufen“, doch glaube er „immer noch an die Reinheit und das Gute in der Frau“.

Jaenkes Antworten sind nicht mehr existent. Ihrer Überlieferung nach, die sich auch in den Borchert-Biographien von Claus B. Schröder und Gordon Burgess wiederfindet, kam den Briefen Borcherts noch eine besondere Rolle in ihrem Leben zu: Nachdem sie mit einigen Freundinnen bei einer Jazz-Veranstaltung im Curio-Haus gewesen war, die von der Gestapo als „englandfreundlich“ gesprengt worden war, kam es zu systematischen Hausdurchsuchungen bei den Feiernden. In ihrem Schreibtisch, so berichtete Jaenke später, seien dabei die Briefe Borcherts gefunden worden. Der Name des Absenders war zu diesem Zeitpunkt bereits aktenkundig. Im April 1940 hatte die Gestapo auch Borcherts Zimmer nach staatsfeindlichen Notizen durchsucht.

Borcherts Gedicht 'Kleine Meerfrau Aranka'

Borcherts Gedicht “Kleine Meerfrau Aranka”

Im Anschluss an die Hausdurchsuchung wurde Aranka Jaenke verhaftet und nach einem Verhör im Stadthaus, dem Gestapo-Hauptquartier, ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel verbracht. Dank persönlicher Kontakte ihrer Eltern kam sie nach drei Wochen, am 22. September 1941, wieder frei. Ein Teil der Briefe Borcherts, den Jaenke in ihrer Autobiografie Aranka. Ein Leben für das Schauspiel als „erste platonische Liebe meines Lebens“ bezeichnet, sei dabei wieder ausgehändigt worden, andere nicht. Borchert selbst war am 10. September 1941 an die Ostfront abkommandiert worden.

Ob die Briefe der entscheidende Grund für die Verhaftung waren, wie Jaenke berichtet, lässt sich retrospektiv nicht mit Sicherheit klären. Indizien dafür gibt es aber durchaus. So berichtet Hertha Borchert in ihrer unveröffentlichten, in den 1970er Jahren zu Papier gebrachten Autobiographie von einem Besuch der Eltern Aranka Jaenkes nach der Verhaftung ihrer Tochter. Sie hätten der Familie Borchert wegen der Briefe ihres Sohnes „schwerste Vorwürfe“ gemacht. Und tatsächlich erwies sich Borchert mehrfach als ausgesprochen unvorsichtiger und uneinsichtiger Briefeschreiber. An seine Eltern schrieb er während seiner Grenadier-Ausbildung in Weimar über einen Zug von ausgemergelten KZ-Häftlingen, den er dort gesehen hatte, alte und junge Menschen, die sich krank und elend dahingeschlappt hätten. Obwohl er wissen musste, dass er politisch unter Beobachtung stand und der Brief auch die Empfänger belasten könnte, führte er weiter aus: „Neben diesen armen Kreaturen kam alle zehn Schritt ein Schwein von SS-Mann.“

Das Gedicht 'Aranka', aufgenommen in Borcherts Debütband 'Laterne, Nacht und Sterne'

Das Gedicht “Aranka”, aufgenommen in Borcherts Debütband “Laterne, Nacht und Sterne”

Nachdem Jaenke nach bestandener Prüfung noch während der NS-Zeit als Schauspielerin gewirkt und in der Nachkriegszeit u. a. als Flugbegleiterin gearbeitet hatte, etablierte sie sich nach dem Krieg als Film- und Theaterschauspielerin sowie als polyglotte Synchronsprecherin und Conferenceuse. Nach dem Tod ihres Mannes Rolf Mamero (1914-1988) startete sie als Serienschauspielerin beruflich noch einmal durch. 1995 trat sie unangekündigt bei der Konferenz „Wolfgang Borchert in neuer Sicht“ auf, erklärte den Anwesenden „Ich bin die Aranka“ und setzte sich in die Mitte der ersten Reihe. Ihre Erinnerungen an Wolfgang Borchert brachten Claus B. Schröder (Draußen vor der Tür. Eine Wolfgang-Borchert-Biographie) und Gordon Burgess (Wolfgang Borchert. Ich glaube an mein Glück) in ihre Biografien ein. Jaenke verstarb am 15. März 2018 im Alter von 93 Jahren in Hamburg.

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