100 Bücher aus der Mädchenschule Mittell-Redlich und ihre wechselvolle Geschichte
25. Februar 2016
von Redaktion — abgelegt in: Ausstellungen und Veranstaltungen,Fachbibliotheken,Hamburg — 5.516 Aufrufe
Von Anna v. Villiez
Die Bibliothek Neuere deutsche Literatur am Institut für Germanistik im Philosophenturm widmet eine kleine Ausstellung einem speziellen Büchererbe: den Büchern aus der ehemaligen Mädchenschule Mittell-Redlich. Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Stabi unterstützte die Bibliothek bei den Recherchen zu der spannenden Geschichte dieser Bücher, da der Verdacht nicht auszuschließen war, dass die Bücher als NS-Raubgut in den Bestände gelangt waren. Die Miniausstellung ist ab sofort in den Räumen der Bibliothek für Neuere deutsche Literatur (Philoturm, 4. Stock, Raum 450) zu sehen. Die Rechercheergebnisse sind in diesem Text zusammengefasst.
Im Frühjahr 2015 fielen in der Fachbereichsbibliothek Sprache Literatur Medien – Teilbibliothek Neuere deutsche Literatur im Philosophenturm eine Reihe von Büchern auf: Besitzvermerke und Exlibris wiesen entweder „Meta Mittell“ oder „Meta Redlich“ als Vorbesitzerinnen aus, in einigen fanden sich auch Stempel „Schule Mittell“. Die Bibliothek begann zu recherchieren, da ein Raubgut-Hintergrund nahelag. Schnell war herausgefunden, dass es sich bei den Vorbesitzerinnen um die Leiterinnen der ehemaligen Mädchenschule Mittell-Redlich gehandelt haben muss. Diese Mädchenschule hatte von 1904 bis 1939 Die Schule war bereits Gegenstand eines gründlichen historischen Aufsatzes von Renate Hauschild-Thiessen. Vgl.: Dies.: Mittell-Redlich, eine Hamburger Privatschule für Mädchen, in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, S. 191-201. bestanden. Es handelte sich jedoch um eine evangelische Schule.
Ob damit also der Verdacht ausgeräumt war, dass die Bücher unter unrechten Zusammenhängen in die Bibliothek gelangt waren? Immerhin weist das Zugangsbuch, welches glücklicherweise noch vorhanden ist, den Zugang der Bücher im September 1939 nach. Zwei weitere Bücher kamen noch im Mai 1941 dazu. Die Bibliothek kontaktierte schließlich die Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Stabi mit der Bitte, sie bei den weiteren Recherchen zu unterstützen. Die Bibliothek ging systemisch die als „Stiftung Redlich“ im Zugangsbuch verzeichneten Einträge durch und fand schließlich 100 Bände aus der Schule Mittell-Redlich. Archivrecherchen am Staatsarchiv Hamburg folgten.
Die beiden Metas und die Schule Mittell
Zu den beiden Schulleiterinnen ließ sich einiges in Erfahrung bringen:
Margarethe „Meta“ Mittell, geb. 6. Januar 1864 in Berlin, entstammte einer österreichischen Künstlerfamilie. Ihre Eltern Karl Joseph und Elisabeth Mittell waren Schauspieler. Nach Stationen in Dresden, Berlin und Leipzig kam die Familie 1878 nach Hamburg, wo ihr Vater ein Engagement am Hamburger Thalia Theater antrat. Meta Mittell ließ sich an der Hamburger Klosterschule St. Johannis zur Lehrerin ausbilden. In der Klosterschule lernte sie vermutlich Meta Redlich kennen, mit der sie lebenslang verbunden bleiben sollte.
Meta Redlich, geb. am 8.Mai 1866 in Hamburg, entstammte im Gegensatz zu ihr einer konservativen, bildungsbürgerlichen Hamburger Familie. Ihr Vater Carl Christian Redlich hatte lange als Direktor der „Höheren Bürgerschule vor dem Holstenthore“ gewirkt und galt als ausgezeichneter Lessingkenner und –forscher. Meta Redlich wurde ebenfalls Lehrerin.
1904 übernahm Meta Mittell eine Schule, die bis dato von Silvia Röver und Emma Benfey geleitet worden war. Das Haus entwickelte sich unter ihrer Leitung und mit dem Eintritt von Meta Redlich in die Schule unter einer Doppelspitze zu einer sehr beliebten Mädchenschule. Sie war damit eine der bedeutenden Hamburger Institutionen für Mädchenbildung in einer Zeit, in der dies noch alles andere als selbstverständlich war, und bot als eine der ersten in Hamburg eine Vorbereitung auf das Abitur auch für Mädchen an.
Die beiden Frauen, die auch „die beiden Metas“ genannt wurden, waren nicht nur beruflich eng verbunden. Sie teilten sich eine Wohnungen und reisten viel gemeinsam. Beide liebten Literatur, besonders Goethe hatte es beiden angetan. Gleichzeitig führten die beiden Lehrerinnen die Schule als offenes Haus, in dem regelmäßig Vorträge und Diskussionen stattfanden. Der Hamburger Germanist und führende Frauenrechtler Heinrich Meyer-Benfey hielt unter anderem einen Vortragszyklus. So wurde die Schule zu einem Treffpunkt der Protagonistinnen der damaligen Frauenbewegung. Zum Bekanntenkreis gehörten die Oberschulrätin Emmy Beckmann, Milli Athen und eben Heinrich Meyer-Benfey.
Meta Redlich schied 1937 aus dem Schuldienst aufgrund gesundheitlicher Probleme aus. Nach ihrer Pensionierung im April 1939 beauftragt Meta Mittell noch die Lehrerin Helene Mosengel mit der Fortführung der Schule unter der Bezeichnung „Mittellsche Schule, anerkannte private Oberschule für Mädchen“. Die Schule wurde vom Graumannsweg 47 nach Wartenau 7/9 verlegt. Die Schule wurde dennoch am 30. September 1939 im Zuge der zwangsweisen Schließung der Privatschulen für immer geschlossen. In der Gedächtnisrede von Hauptpastor Theodor Knolle heißt es: „Sie hat sich mancherlei Gedanken gemacht in den letzten Jahren, nachdem ihr die Schule und ihr schönster Lebensinhalt genommen ward, nachdem ihr das schöne, kultivierte, geistig geprägte Heim zerstört wurde.“ Quelle: Gedenkblatt für die hamburgischen Schuldirektoren Margarethe Mittell und Meta Redlich, unveröffentlichtes Manuskript, Privatbesitz, S 5ff. Bis zuletzt hatte die Schule auch jüdische Schülerinnen gehalten.
Meta Redlich starb am 27. März 1945, drei Jahre später, am 2. November 1948, folgte ihr Meta Mittell.
Die Bücher und ihr Weg in die Bibliothek für Neuere deutsche Literatur
Über die Bibliotheken von Meta Mittell und Meta Redlich konnte folgendes zusammengetragen werden.
In der Inventarliste von 1923 Staatsarchiv Hamburg 361-2 II B 248 Nr. 1, Bd.2: Allgemeine Schulakte. findet sich eine Schätzung der Buchbestände: Demnach befanden sich in der Hausbibliothek 380 Bände, Schätzwert 1140 Mark. Die Schulbibliothek für Kollegen und Schüler umfasste 900 Bände (Schätzwert 4500 Mark). Eine weitere kleine Bibliothek im Sprechzimmer zählte 200 Bände (Schätzwert 1000 Mark).
Überliefert ist außerdem, dass Meta Redlich die wertvolle „Sophien-Ausgabe“ und Meta Mittell die Erstausgabe des Gesamtwerkes von Goethe von 1802 besaßen.
Unter welchen Umständen wurde also die Privatschule aufgelöst? Gab Meta Redlich die Bücher im Zusammenhang mit dem Umzug aus dem ursprünglichen Schulgebäude 1939 an das Literaturwissenschaftliche Seminar? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass beide durch ihre Liebe zur Literatur in den literarischen Kreisen und auch der universitären Germanistik bekannt waren. Zumindest eines der Bücher kam laut Notiz im Zugangsbuch über Ottilie Kluge, die Sekretärin von Prof. Robert Petsch, in die Bibliothek. Offenbar pflegte zumindest Meta Redlich gute Kontakte zur Universität bzw. zur Universitätsbibliothek. Als die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 1929 anlässlich des zweihundertsten Geburtstages von Lessing eine kleine Ausstellung zusammenstellte, stellte sie Lessings Totenmaske zur Verfügung. Vgl. Lessing und Hamburg. Festgabe zur Zweihundertjahrfeier der Geburt des Dichters dargebracht von der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, Hamburg 1929, siehe hier das Vorwort von Gustav Wahl. Diese hatte ihrem Vater gehört. Totenmasken von bekannten Persönlichkeiten stellten wertvolle Sammlerobjekte dar.
Stifteten die beiden Lehrerinnen also unter dem Druck der Zeit nach der Auflösung der Schule am Graumannsweg an das Literaturwissenschaftliche Seminar? In der Forschungsliteratur zur Schulgeschichte ließ sich bislang nichts finden zu den genaueren Umständen, die die Schließung der Privatschulen auf Geheiß der Nationalsozialisten 1939 begleiteten. Gab es auch Beschlagnahmungen und könnten die Bücher so an die Universität gelangt sein? Waren Meta Mittell und Meta Redlich durch ihre Nähe zur Frauenbewegung evtl. besonders ins Visier der Nationalsozialisten geraten? Bislang konnte der Weg der Bücher von Meta Mittell und Meta Redlich in die Bibliothek Neuere deutsche Literatur nicht lückenlos nachgezeichnet werden. Die Bücher sind Erinnerungsstücke an eine Hamburger Schule, in deren Geschichte sich wie in einem Kaleidoskop die zeitgenössischen Entwicklungen widerspiegelten: Mädchenbildung, Frauenbewegung und nationalsozialistische Bildungspolitik.
Die Bibliothek Neuere deutsche Literatur freut sich über weiterführende Hinweise zur Geschichte der Schule Mittell-Redlich und den Umständen ihrer Auflösung.
Kontakt: Angelika Brauns; E-Mail: angelika.brauns@uni-hamburg.de; Tel.: 040 / 42838-5330
ALS VERWANDTER DER FAMILIE REDLICH WILL ICH IHNEN MITTEILEN DASS FRAU META REDLICH AUS DER ZWEITEN EHE DES PROFESSOR CARL CHRISTIAN REDLICH STAMMT.DIESER WAR DER VATER MEINES GROßVATERS PASTOR CARL GEORG REDLICH ZU ST.JACOBI-KIRCHE HAMBURG.
SIE KANN DAHER NICHT IM JAHR 1866 GEBOREN SEIN, SONDERN AM 08.05.1877.
DIESE ANGABEN BERUHEN AUF STAMMBÄUME DER FAMILIE REDLICH.
Sehr geehrter Herr Waldenburg, danke für Ihren Hinweis.
Gruß, Markus Trapp, Stabi Hamburg