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„Zot le-zikaron“ – dies ist zur Erinnerung … Zum Tag der Provenienzforschung am 14. April 2021

14. April 2021
von Redaktion — abgelegt in: Ausstellungen und Veranstaltungen — 2.357 Aufrufe


Von der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut.

Zum diesjährigen Tag der Provenienzforschung, an dem Forscher*innen aus einer Vielzahl von Institutionen erneut ihre Arbeit vorstellen, rückt die Stabi mit einer Präsentation von Ulrike Preuß zu Ludwig Levys Büchern die Bedeutung der Erinnerung in den Mittelpunkt – ein Aspekt, der in der alltäglichen Routine von Recherche und Abgleich, Dokumentation und Korrespondenz auch in der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut manchmal in den Hintergrund gerät.

Wie im letzten Jahr ist die Stabi wieder mit einem Beitrag im Provenienzforschungs-Blog RETOUR vertreten, dieses Mal mit Fundstücken zur Antiquariatsgeschichte in der NS-Zeit: “Zu den Akten“. Außerdem möchten wir an dieser Stelle auf eine weitere Veranstaltung hinweisen, die vom Arbeitskreis Provenienzforschung organisiert wurde.


Podiumsdiskussion “Spurensuche und Aufarbeitung – Zum Stand der Provenienzforschung in Hamburg”

Montag, 19. April 2021, 17:30-19:15 Uhr
Podiumsdiskussion u.a. mit Kultursenator Dr. Carsten Brosda und Stabi-Direktor Prof. Robert Zepf
im Rahmen der Jahrestagung des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V.: „Entzug, Transfer, Transit – Menschen, Objekte, Orte und Ereignisse
Wird als Live-Stream auf ndr.de und Facebook von NDR Kultur übertragen und ab 17:30 auch im Facebook-Kanal der Stabi gezeigt. Update: Kann hier nachgeschaut werden:

Ein Zusammenschnitt der Diskussion wird am 20. April 2021 von 18:30 – 19 Uhr auf NDR Kultur im Journal plus gesendet: “20 Jahre Arbeitskreis Provenienzforschung: Stand der Debatte und Ausblick”
Die Sendung kann hier nachgehört werden:


„Zot le-zikaron“ – dies ist zur Erinnerung… (Sign.: JGB A/584325)

Wer sich mit Provenienz von NS-Raubgut beschäftigt, wird zwangsläufig mit den menschenverachtenden Strukturen des Dritten Reiches, mit der Verstrickung unserer beruflichen Vorgänger in dessen verbrecherische Handlungen und mit den persönlichen Geschichten der Verfolger und ihrer Opfer konfrontiert. So kann Provenienzforschung durchaus als ein „schmerzhafter Akt der Erinnerung” gelten, wie es Jürgen Babendreier einmal formuliert hat. Im Zentrum dieses Erinnerungsaktes steht das wiedergefundene Raubgut selbst. Dies gilt besonders für Bücher, denn anders als viele geraubte Kunstwerke tragen sie oft sichtbare Spuren der Vergangenheit direkt ‚auf ihrer Haut‘. Sie liefern so wertvolle Informationen einerseits über ihren Vorbesitzer, andererseits über ihren Weg in die Bibliothek.

Die Online-Präsentation widmet sich den ‚erzählenden Büchern‘ der Hamburger Familie Levy, einem wahren Erinnerungsschatz für die Provenienzforschung. Gefunden wurden sie 2012 bei der Durchsicht von nicht katalogisierten Beständen der SUB Hamburg auf NS-Raubgut. Plötzlich hielten wir dort mehrere Bücher mit besonders schönen Einbänden und zahlreichen (meist hebräischen) handschriftlichen Anmerkungen und Zeichnungen in den Händen. Der Eigentümer dieser offensichtlich vielgelesenen und wertgeschätzten Bücher war Ludwig Levy. Dank der Eintragungen konnten wir ihn und seine Erben schnell identifizieren, 2014 wurden die Bände restituiert.

Zugangsbuch 1943

Die Bücher wurden vermutlich nach der Zwangsumsiedlung der Levys beschlagnahmt und der Bibliothek als ‚Geschenk‘ der Gestapo überwiesen. Wie viele wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland nutzte auch die Hamburger Bibliothek ausgiebig diese Möglichkeit, den eigenen Bestand kostengünstig zu erweitern. In ihren Erwerbungsjournalen führte sie die Gestapo als regelmäßigen Lieferanten auf, dessen ‚Zuteilungen‘ mit Beginn der Deportationen 1941 deutlich zunahmen. Die heute verfügbaren Quellen zeigen, dass Mitarbeiter sehr wohl wussten, woher die Bücher stammten und teils auch die staatliche Ausplünderungspolitik aktiv unterstützten.

Schon 1942 konnten kriegsbedingt viele ‚Geschenke‘ der Gestapo nicht mehr ordnungsgemäß bearbeitet werden. Nach der fast vollständigen Zerstörung der Bibliothek 1943 lagerte man die NS-Beute ungeordnet zusammen mit anderen Beständen ein. Später wurden die Bände ohne Rücksicht auf ihre problematische Provenienz teils in den Bestand eingearbeitet, teils unkatalogisiert in die Magazine verschoben, wo die Bücher – gewollt oder ungewollt – dem Vergessen anheimfielen. So peinlich es ist, dass die Möglichkeit einer früheren Restitution dadurch verspielt wurde, so ist es wohl im Falle Ludwig Levys gerade dem langen Dasein im Verborgenen zu verdanken, dass alle Einträge erhalten blieben und eingelegte Fotos, Briefe etc. nach vielen Jahrzehnten noch an ihrem Ursprungsort in den Büchern aufzufinden waren.

Provenienzvermerk (Sign.: JGB C/18427: 8)

Die Zeitläufte haben diesen seltenen Mementos auf mehreren Ebenen des Gedächtnisses Bedeutung verliehen: Für Ludwig Levy waren die Bücher Teil seiner persönlichen Erinnerungskultur, während sie für uns eine wertvolle Quelle für Informationen rund um seine Familie sind. Vor allem aber erinnern sie uns daran, dass es bei unserer Forschung um weit mehr geht als um zu restituierende Gegenstände. Jedes geraubte Exemplar, das sich noch in unseren Magazinen befindet, ist eine Erinnerung an zerbrochene Leben und gebrochene Biografien. Es zeugt von den Entrechtungen, Verfolgungen und Verbrechen, denen seine Vorbesitzer ausgesetzt waren – und davon, dass die Bücher nur aufgrund dieses Unrechts in den Besitz der Bibliothek gelangten.

Die Existenz dieser ‚Mahnmale‘ im Bestand der Stabi stellt uns in die historische Verantwortung und verpflichtet uns mehrfach: dazu, die rechtmäßigen Eigentümer ausfindig zu machen und ihnen die Bücher (wenn möglich) zurückzugeben; dazu, uns der schändlichen Vergangenheit der Bibliotheken als Profiteuren von Verfolgung und Deportation zu stellen; und schließlich dazu, die Erinnerung an die Menschen wach zu halten, damit ihre Namen und Schicksale nicht verschwiegen und vergessen werden – wie es mit den geraubten Büchern selbst schon viel zu lange geschehen ist.

“Zot le-zikaron”, dies ist zur Erinnerung… Wir können uns kein besseres Motto für unsere Arbeit vorstellen.

(Alle Fotos: SUB Hamburg; auf Klick werden alle Bilder in groß angezeigt.)

Ein Gebetbuch im Samteinband als Hochzeitsgeschenk (Sign.: JGB A/584316)

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