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Erneute Restitution von NS-Raubgut!

28. Juni 2011
von Markus Trapp — abgelegt in: Aktuelles — 10.078 Aufrufe

Mitte Oktober 2010 wurden im Rahmen des Projektes NS-Raubgut vier Bücher mit Stempeln der „Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden in Berlin“ gefunden. Die Gesellschaft wurde bereits 1822 gegründet und war eine Zweigstelle der Londoner „Society for Promoting Christianity amongst the Jews“.

aufgefundener Provenienzvermerk (NSR A 1946/62300)
aufgefundener Provenienzvermerk
(NSR A 1946/62300)
Da die Missionierung von Juden für das Christentum nicht mit der antisemitischen Doktrin des Nationalsozialismus vereinbar war, wurde die Gesellschaft 1941 verboten und aufgelöst. Das Eigentum wurde durch die Gestapo beschlagnahmt. Hierzu zählte auch die umfangreiche Bibliothek der Gesellschaft.

Ein großer Teil dieser Bibliothek – ca. 400 Exemplare – kam in die Staatsbibliothek zu Berlin und fand sich dort in den Zugangsbüchern wieder. Die Staatsbibliothek zu Berlin konnte schließlich nach umfangreichen Recherchen das „Berliner Missonswerk“ als Rechtsnachfolger ausfindig machen und dort im September letzten Jahres eine Restitution von 138 noch erhalten gebliebenen Exemplaren durchführen. Der restliche Teil der Bibliothek blieb verschollen.

NSR A 1946/62265Die vier in unserer Bibliothek gefundenen Bücher, sind über die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ins Haus gekommen. Schon länger vermuteten wir, dass sich unter den Schenkungen der Notgemeinschaft, bzw. beim Tausch von Dubletten auch geraubte Bücher befinden. Der Fund der Bücher bestätigt diesen Verdacht.

Mit Unterstützung und durch die Vorarbeiten der Staatsbibliothek zu Berlin kann die SUB Hamburg die vier in unserem Bestand aufgefundenen Bücher an das Berliner Missionswerk restituieren.

Restituiert werden:
Bieling, Richard: Die Juden vornehmlich. Ein evangelisches Gesangbuch. Jones, Stanley: Der Christus der indischen Landstraße und Hosianna. Kleiner Missions-Liederschatz für Freunde Israels.

Damit alle Titel weiter dem Bibliothekssystem Universität Hamburg und damit der Forschung zur Verfügung stehen, haben wir „Hosianna. Kleiner Missions-Liederschatz“ mit unserem Scanroboter digitalisiert.

So gelang es der SUB Hamburg das entwendete Kulturgut an die rechtmäßigen Eigentümer zu restituieren und gleichzeitig mit Hilfe modernster Technik eine digitale Ausgabe zur weiteren Nutzung für unseren Bestand zu erhalten.

Weitere Informationen und unsere Ansprechpartner finden Sie auf der Seite NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut in der Stabi.

6 Antworten zu “Erneute Restitution von NS-Raubgut!”

  1. Jakob Michelsen sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    selbstverständlich ist es überfällig, richtig und notwendig, dass sich nun auch die Hamburger Stabi mit dem Thema des NS-Raubguts in ihren Beständen befasst, Provenienzforschung betreibt und geraubte Bücher, soweit möglich, an die rechtmäßigen EigentümerInnen bzw. deren Erben zurückgibt. Jedoch stört mich an Ihrem Blog-Eintrag vom 28.6. massiv, dass kein Wort über die spezielle Problematik dieses Eigentümers – der “Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden in Berlin” – verloren wird. Christliche “Judenmission” entspringt schließlich dem altüberlieferten religiösen Antijudaismus und verfolgt letztlich den Zweck, das Judentum zu beseitigen. Es trifft zwar zu, dass diese Form des religiösen Antijudaismus während der NS-Zeit mit dem Rassenantisemitismus in Konflikt geriet, weil der Rassismus des NS-Regimes nicht auf den Glauben zielte, sondern auf die Vernichtung von biologisch definierten Menschengruppen und daher in der Taufe von Juden/Jüdinnen eine unerwünschte “Tarnung” sah. Dennoch gehört der christliche Antijudaismus insgesamt zu den Wurzeln, aus denen sich seit dem 19. Jahrhundert der Rassenantisemitismus entwickelt hat. Daher ist ein Verein zum Zwecke christlicher Mission unter Juden/Jüdinnen – auch wenn er während der NS-Zeit verboten wurde – als Vorbesitzer gestohlener Bücher nicht dasselbe wie z. B. eine zwangsaufgelöste jüdische Organisation oder eine vom NS-Regime verfolgte Person. Zwar ist m. E. die Rückgabe der betreffenden Bücher an den Rechtsnachfolger des genannten Vereins – egal, wie ich zu ihm stehe, ich halte religiöse Mission generell für höchst fragwürdig – trotzdem richtig, weil es sich bei der Beschlagnahme der Vereinsbibliothek um staatlichen Diebstahl handelte und weil es unangemessen wäre, hier eine Unterscheidung zwischen “guten” und “schlechten” vom NS-Regime Bestohlenen zu treffen. Aber dass in Ihrer Meldung die beschriebenen speziellen Ambivalenzen mit keiner Silbe erwähnt werden, dass also – zumindest für die LeserInnen – hierzu keinerlei Reflexion stattfindet, ist ein arges Versäumnis. Dieses Übergehen der Problematik impliziert – sicherlich unabsichtlich! – eine stillschweigende Gleichsetzung zwischen der Verfolgung und Ermordung von Juden/Jüdinnen und dem Verbot eines (zumindest aus heutiger Sicht) problematischen Vereins. Wäre ich Jude, würde ich dies als Affront empfinden.
    Mit freundlichen Grüßen
    Jakob Michelsen

  2. M. Kesting sagt:

    Sehr geehrter Herr Michelsen,
    Dank für Ihren Kommentar zu unserer letzten Restitution.

    1999 haben sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände in einer gemeinsamen Erklärung das Ziel gesetzt, noch im Besitz öffentlicher Einrichtungen befindliches NS-Raubgut zu ermitteln und an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Die Bibliothek kommt dieser Verpflichtung in ihrem Projekt „NS-Raubgut in der Stabi“ nach. Wie Sie richtig anmerken, die Stabi konzentriert sich darauf die rechtmäßigen Eigentümer von NS-Raubgut ausfindig zu machen, um diese Bücher zu restituieren.

    Das Projektteam

  3. Jakob Michelsen sagt:

    Sehr geehrte Frau Kesting,
    danke für Ihre Antwort. Leider zielt sie jedoch an meinem Kommentar vorbei. Meine Kritik gilt ja gar nicht der Restitution selbst, sondern der Art ihrer Bekanntgabe im Stabi-Blog. Solche komplexeren geschichtspolitischen Themen erfordern nun einmal – über formalrechtliche Korrektheit hinaus – gewisse Kontextualisierungen und Differenzierungen, an denen es in diesem Fall m. E. in eklatanter Weise mangelte, so dass eine höchst fragwürdige Gleichsetzung entstand. Auf diesen eigentlichen Kritikpunkt sind Sie leider nicht eingegangen. Vor allem aber wäre es wünschenswert, wenn bei künftigen Blog-Einträgen auf solche sensiblen Punkte genauer geachtet würde.
    Mit freundlichen Grüßen
    Jakob Michelsen

  4. Hannelore Witkofski sagt:

    Sehr geehrte Frau Kesting,
    beim Lesen Ihrer Antwort an Herrn Michelsen ist bei mir der Eindruck entstanden, dass Sie seine Stellungnahme entweder nicht zu Ende gelesen oder nicht verstanden haben. Denn Herr Michelsen plädiert an keiner Stelle dafür, die Bücher dem rechtmäßigen Eigentümer nicht zurückzuserstatten, sondern er bemängelt die kommentarlose Darstellung der Rückgabe. Oder wollen Sie mit Ihrer Antwort zum Ausdruck bringen, dass Bund, Länder und Kommunen lediglich funktional und bar jeder Bewertung die Rückerstattung gestohlenen Kulturgutes vollziehen wollten? Oder betrachtet nur die Staatsbibliothek die rein funktionale Rückerstattung als ausreichend?
    Irritiert und sich fragend, Hannelore Witkofski

  5. Mirko Nottscheid sagt:

    Sehr geehrtes Projektteam, ich wundere mich auch über den Tenor Ihrer Presseerklärung und ebenso über diese Antwort auf den Einwand von Herrn Michelsen, der Ihnen doch keineswegs nahe legt, das geraubte Gut dem rechtmäßigen Eigentümer vorzuenthalten. Natürlich war, wie Sie richtig schreiben, “die Missionierung von Juden für das Christentum nicht mit der antisemtischen Doktrin des Nationalsozialismus vereinbar”. Dazu gehört aber eben auch der Hinweis, dass diese “Missionierung” ihrerseits nicht frei von antisemitischer Doktrin war. Diese notwendige Differenzierung fehlt in Ihrer Erfolgsmeldung.
    Mit freundlichen Grüßen
    Mirko Nottscheid

  6. M. Kesting sagt:

    Herzlichen Dank Herrn Michelsen und Frau Witkofski für ihre
    klärenden Kommentare zu unseren Blogeinträgen vom 3.und 4.7.2011.

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