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Talmud aus Raubgutbeständen nach Israel restituiert

1. Februar 2017
von Redaktion — abgelegt in: Aktuelles — 16.726 Aufrufe

Von Anna von Villiez.

Stempel Loebenstein Im Zuge der Provenienzforschung zu NS-Raubgut konnte die Staatsbibliothek am 20. Januar 2017 einen 15-bändigen babylonischen Talmud restituieren. Der Talmud in einer Ausgabe aus Wilna (heute Vilnius, Litauen), gedruckt 1883 bis 1912, war bis 1942 im Besitz von Eliesar Loebenstein gewesen, wie ein Stempel in jedem Band beweist.

Der Stempel findet sich in allen Bänden des babylonischen Talmuds von Eliesar Loebenstein

Bei der Durchsicht der Dauerleihgaben im Institut für die Geschichte der Deutschen Juden durch die Mitarbeiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut waren die Bände aufgefallen.

Anhand des Namens und der Adresse (Dillstraße 15) im Stempel gelang es zügig, die Biografie des Betroffenen zu rekonstruieren:

Eliesar Loebenstein, 1883 in Hamburg geboren, hatte religiös gelebt und war als Kantor und Gemeindebeamter ein wichtiges Mitglied der jüdischen Gemeinde Hamburgs gewesen. Mit seiner Frau Rahel geb. Emmanuel und den beiden Töchtern Sofie (geb. 1920) und Irma (geb. 1918) lebte er im Hamburger Grindelviertel.

Familienfoto

Eliesar Loebenstein (5. von rechts) und seine Frau Rahel (4. von rechts) auf einer Familienfeier. Quelle: Privatbesitz

Als sich die Situation für die jüdische Familie nach 1933 drastisch verschlechterte, emigrierten zunächst die beiden Töchter. Irma reiste 1939 fünfzehnjährig nach Südafrika aus. Sofie ging etwa zur gleichen Zeit nach Großbritannien, um dort zunächst bei einer Familie in London zu arbeiten.

In England gelang es Sofie, das nötige Geld, die Bürgschaften und Papiere für eine Ausreise der Eltern nach England zu besorgen. Als die Eltern jedoch im Begriff waren abzureisen, wurde dies durch den Kriegsbeginn unmöglich gemacht. Das Ehepaar Loebenstein wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rahel Loebenstein starb dort knapp zwei Jahre später im April 1944. Eliesar Loebenstein wurde am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr in Hamburg zurückgelassener Besitz wurde wie aller jüdische Besitz umgehend nach Deportation beschlagnahmt und öffentlich versteigert. „Verbotene Literatur“ – und dazu gehörte jegliche jüdische Religionsliteratur – nahm die Gestapo beiseite und bot sie verschiedenen öffentlichen Bibliotheken an, so auch der Stabi. Diese Bücher sollten nur unter Auflagen zugänglich gemacht werden. Welchen Weg der großformatige, 15bändige Talmud genau nahm, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Klar ist, dass er in den Bestand der Stabi gelangte und von dort als Dauerleihgabe in das Institut für die Geschichte der deutschen Juden kam.

Talmud Bände Loebenstein

Die Bände in edlen Ledereinbänden haben über die Jahre Schaden genommen.

Der Besitz der beiden ausgereisten Töchter Loebenstein wurde übrigens ebenfalls zu Raubgut. Der Frachter „Wagoni“, auf dem das Umzugsgut der Loebensteins nach Südafrika verschifft war, wurde wegen des Kriegsausbruchs wieder in den Hamburger Hafen beordert. Dort wurde der Besitz der Loebensteins einem vom Amtsgericht bestellten Abwesenheitspfleger unterstellt. Diesen zwang später eine Verfügung der Gestapo zur Versteigerung des im Hafen eingelagerten Gutes. Der Historiker Jürgen Lillteicher hat sich in seiner Dissertation zur Rückerstattung von jüdischem Eigentum in der frühen Bundesrepublik auch mit der Familie Loebenstein befasst (siehe hier die Seiten S. 176-187). Er sieht in dem Fall ein Paradebeispiel für die mangelhafte Umsetzung der Rückerstattungsgesetze. Das Verfahren der Loebensteins, ausgefochten durch die überlebenden beiden Töchter, zog sich immer länger hin, verschleppt durch die unwillige Haltung der Hamburger Behörden, vor allem der Oberfinanzbehörde.

Über Sofie Loebenstein fanden wir schließlich einen Erben. Nachdem sie während des Kriegs als Kindermädchen und in einem Kinderheim tätig gewesen war, zog sie nach dem Krieg mit ihrem Mann Lionel Nevies nach Wales. Ihrem einzigen Sohn gab sie den Namen ihres Vaters, den sie nie wieder gesehen hatte nach ihrer Emigration: Eliezar. Die Familie träumte lange von der Auswanderung nach Israel. Nach dem überraschenden Tod des Vaters, ging Eliezar Nevies zunächst alleine nach Israel, seine Mutter folgte ihm kurz darauf.

Über eine Meldung der Hochzeit seines Sohnes im Gemeindeblatt einer Londoner orthodoxen Gemeinde fanden wir schließlich Eliezar Nevies. Eine Anfrage an die Gemeinde wurde freundlicherweise an die Familie weitergeleitet. Eliesar Loebensteins Enkel lebt inzwischen seit vielen Jahren mit seiner Familie in Jerusalem. Auf unseren ersten Brief antwortete er:

Thank you so very much for reaching out to return those books to our family! I am deeply moved.

Der Talmud ist nun auf dem Weg nach Israel, um von Eliezar Nevies in den Besitz der Familie zurückgenommen zu werden.


Restitution of looted Talmud to Israel

In the course of the Hamburg State and University’s provenance research on Nazi looted books, we were able to restitute a 15-volume Babylonian Talmud on 20 January 2017. The Talmud is an edition from Wilna (today Vilnius, Lithuania), printed 1883 to 1912 and had been owned by Eliesar Loebenstein until 1942, proven by a stamp in each volume.

The books were found during the review of holdings permanently lent to the Institute for the History of the German Jews (Institut für die Geschichte der deutschen Juden) by the staff of the Department of Provenance Research – Nazi Looted Books. On the basis of the name and address in the stamp (Dillstraße 15), we were able to reconstruct the biography of the person concerned:

Eliesar Loebenstein, born in Hamburg in 1883, had lived religiously and had been an important member of the Jewish community of Hamburg as a cantor and a municipal civil servant. He lived with his wife Rahel née Emmanuel and the two daughters Sofie (born 1922) and Irma (born 1924) in the area called Grindelviertel of Hamburg which traditionally was the area of Hamburg with the greatest Jewish population.

When the situation for the Jewish family deteriorated drastically after 1933, the two daughters emigrated first. In 1939, Irma traveled to South Africa aged just fifteen. Sofie went to Great Britain at about the same time to work for a family in London.

In England, Sofie managed to obtain the necessary funding and affidavits for her parents to leave Germany. But when the parents were about to depart, this was made impossible by the beginning of the war. The Loebensteins were deported to Theresienstadt on 19 July 1942. Rahel Loebenstein died there two years later in April 1944. Eliesar Loebenstein was deported to Auschwitz on October 9, 1944, where he was murdered. Their property, which had been left behind in Hamburg, was confiscated immediately after deportation, as was all Jewish property, and publicly auctioned. “Prohibited literature” – and this included any Jewish religious literature – was taken aside by the Gestapo and offered to various public libraries, including the Hamburg State and University. These books should only be made accessible under conditions. It is no longer possible to reconstruct the exact path taken by the large-scale Talmud. It is clear that it got into the Hamburg State and University’s holdings and from there it was permanently lent to the Institute for the History of German Jews (Institut für die Geschichte der deutschen Juden).

The possession of the two Loebenstein daughters was also looted. The freighter “Wagoni”, on which their belongings were to be shipped to South Africa, was ordered back to the port of Hamburg due to the outbreak of war. The Gestapo later ordered to auction off their assets stored in the port. The historian Jürgen Lillteicher has analysed the Loebenstein case in his dissertation on the restitution of Jewish property in the early Federal Republic (see pp. 176-187). He sees their case as an example of the failure to implement the compensation laws for persecuted Jews. The compensation case, fought by the surviving two daughters, continued for years dragged on by the unwillingness of the Hamburg authorities.

We finally found an heir through Sofie Loebenstein. After working as a nanny and in a nursery during the war, she moved to Wales with her husband Lionel Nevies after the war. She named her only son after her father, whom she had never met again after her emigration: Eliezar. The family had had plans for years to emigrate to Israel but after the sudden death of his father, Eliezar Nevies went to Israel by himself, followed by his mother shortly afterwards.

In the end we found Eliezar Nevies through a wedding announcement of his son on the website of a London based synagogue mentioning him too. A request to the community was kindly forwarded to the family. Eliesar Loebenstein’s grandson has been living with his family in Jerusalem for many years. To our first letter, he replied, “Thank you so very much. I am deeply moved.” The Talmud is now on his way to Israel to be taken back into the family’s possession by Eliezar Nevies.

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